Aus für vernetzte Lkw-Konvois

Im sogenannten Platooning – dem Windschattenfahren digital vernetzter Lkw – sieht Daimler keine erfolgversprechende Technik mehr. Stattdessen soll verstärkt in die Entwicklung hochautomatisierter Trucks investiert werden.

Las Vegas – Vor drei Jahren gab es bei Daimler eine Weltpremiere. Bei einem Technikkongress des Autokonzerns in Düsseldorf wurde live von der Autobahn 52 übertragen, wie drei mit einer elektronischen Deichsel aneinandergekoppelte Lastwagen sehr dicht hintereinander herfuhren. Dieses sogenannte Platooning weckte in der Branche große Erwartungen als wichtige Zukunftstechnik. Doch auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas vollzog Daimler nun eine Kehrtwende. Truck-Vorstand Martin Daum machte deutlich, dass die Stuttgarter keine Zukunft für diese Technik sehen.

Beim Platooning kann der Abstand zwischen den Lastwagen mit elektronischer Hilfe auf rund 15 Meter deutlich verringert werden. Dies soll vor allem die Aerodynamik verbessern und Kraftstoff sparen. Die Lastwagen sind dabei über WLAN vernetzt. Bremssignale werden in einem Bruchteil von Sekunden vom führenden Fahrzeug des Konvois automatisch auf die folgenden Trucks übertragen. Die Fahrer der hinteren Lastwagen werden damit entlastet. Zudem braucht solch ein Konvoi wegen des geringeren Abstands weniger Platz auf der Straße.

Testfahrten nur mit Ausnahmegenehmigungen möglich

Bis jetzt können solche Fahrten allerdings nur als Test mit Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden. Denn die Straßenverkehrsordnung verlangt einen Mindestabstand von 50 Metern. Um möglichst auf europäischer Ebene eine rechtliche Grundlage für das digitale Windschattenfahren zu schaffen und zu demonstrieren, dass die Technik sicher ist und funktioniert, schickten Mercedes-Benz, MAN, Scania, Iveco und Daf vor zwei Jahren Konvois aus gekoppelten Lastwagen in einer Sternfahrt nach Brüssel. Die niederländische Regierung hatte dazu im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft aufgerufen.

Daimler führte ebenso wie andere Lkw-Hersteller zahlreiche Praxistests mit Flottenkunden durch. Die Bahn-Tochter Schenker ging dafür im vergangenen Jahr auf der Autobahn 9 zwischen München und Augsburg mit Trucks von MAN auf Tour. Daimler testete in den USA und in Japan. Daimlers Truck-Vorstand Martin Daum zeigt sich heute nach den Ergebnissen dieser Tests ernüchtert. Die Einsparungen seien selbst in den USA, wo die größten Vorteile zu erwarten gewesen wären, kleiner ausgefallen als vorhergesehen. Zumindest im Langstreckenverkehr in den USA sieht Daimler deshalb im Platooning kein profitables Geschäftsmodell. Dies dürfte noch mehr in Europa gelten, wo die Streckenführung kleinteiliger und auch die Topografie ungünstiger ist. Nachdem Daimler nun aus dem Platooning aussteigt, dürften sich die Chancen für diese Technik auch insgesamt verschlechtert haben. Denn wirkliche Vorteile kann die digitale Deichsel nur bringen, wenn Trucks unterschiedlicher Marken aneinandergekoppelt werden können.

Die Traton-Gruppe der Volkswagen AG, unter deren Dach sich unter anderem MAN und Sacania finden, arbeitet nach eigener Mitteilung weiter an Platooning. „Wir sehen es als wichtigen Schritt in Richtung autonomes Fahren“, so eine Sprecherin. Um den langfristigen Wandel vom manuell gesteuerten zum autonomen Fahrzeug zu gestalten, seien diverse Voraussetzungen wichtig. Diese gehen über die Assistenz- und Steuersysteme des Fahrzeugs hinaus bis in Bereiche wie IT und Telekommunikation. „Wir gewinnen weiterhin wertvolle Erfahrung durch unsere zahlreichen Tests bei MAN und Scania“, so die Traton-Sprecherin.

Neues ehrgeiziges Ziel

Wie Daimler auf der CES bekannt gab, steckt sich der Konzern auf dem Weg zum autonom fahrenden Lastwagen ein neues ehrgeiziges Ziel. Erst im September 2018 hat die neue Generation des schweren Lastwagens Mercedes-Benz Actros auf der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover Weltpremiere gefeiert, der nun teilautomatisiert fahren kann. Jetzt sollen in den nächsten Jahren 500 Millionen Euro in die Entwicklung hochautomatisierter Trucks investiert werden, wie Daimler-Vorstand Daum in Las Vegas ankündigte. Binnen eines Jahrzehnts soll dieses Ziel erreicht werden.

Dazu soll auch die Entwicklungsmannschaft um mehr als 200 Mitarbeiter aufgestockt werden. Gesucht werden nach Angaben des Unternehmens in erster Linie Mecha­tronik-Ingenieure und Robotik-Spezialisten mit IT- und Programmierkenntnissen. Die neue Technik soll vor allem in einem auf diese Technik spezialisierten Forschungs- und Entwicklungszentrum von Daimler in Portland im US-Bundesstaat Oregon erarbeitet werden.

Noch sind allerdings nicht nur bei der Technik für hochautomatisierte Fahrzeuge etliche Hürden zu nehmen. Bislang gibt es noch keine rechtlichen Regelungen für solch eine weitreichende Automatisierung von Fahrzeugen. Der Weg zum vollautonomen Roboter-Lkw ist in fünf Stufen eingeteilt. Der neue teilautomatisiert fahrende Actros erreicht die Stufe zwei. Er kann selbsttätig die Spur halten, Gas geben und bremsen, aber beispielsweise nicht automatisch überholen. Der Fahrer darf dabei nur kurz die Hände vom Steuer nehmen, wenn der Lkw im teilautonomen Modus unterwegs ist. Allerdings muss er die elektronischen Assistenzsysteme stets überwachen. In Las Vegas kündigte Daimler an, dass auch das Lkw-Modell Cascadia der zu Daimler gehörenden US-Marke Freight­liner nun die Technik des Actros über­nehmen soll. Der Freightliner Cascadia ist damit nach Angaben des Unternehmens der erste Serien-Lkw, der auf nordameri­kanischen Straßen teilautonom unterwegs ist. Als größter Lkw-Hersteller der Welt kann Daimler Innovationen Schritt für Schritt kostengünstig bei mehreren Marken des Konzerns anbieten.

Der Fahrer wird praktisch zum Passagier

Bei der angestrebten Stufe vier der Automatisierung kann der Fahrer die Verantwortung voll an den Truck abgeben und wird damit praktisch zum Passagier. Das Fahrzeug kann bestimmte Strecken völlig selbstständig bewältigen. Dafür ist aber eine weitaus komplexere Technik erforderlich. Beim neuen Actros und beim Cascadia basiert das teilautonome Fahren auf einer Verknüpfung von Kamera- und Radarinformationen. Daimler weist darauf hin, dass bei der Stufe vier deutlich mehr Sensoren hinzukommen und auch die Datenverarbeitung viel aufwendiger wird.

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