Kampf gegen das Imageproblem

Fachkräfte Deutschlandweit kämpfen Logistikunternehmen mit einem Mangel an Lkw-Fahrern, weil der Beruf für Jobeinsteiger zu unattraktiv ist. Aus dem Problem der Betriebe ist bereits ein Problem der Gesellschaft geworden.

Geschlafen hat der Lkw-Fahrer in seinem Gefährt an Rastplätzen, die nicht als Orte größtmöglicher Sauberkeit gelten. Beklagt hat er sich nicht, er war ja froh, überhaupt einen Stellplatz gefunden zu haben, um die vorgeschriebene Fahrpause einhalten zu können. Am Ziel angekommen, muss der Fahrer beim Entladen helfen. Jetzt geht es zurück auf die Straße, die Familie hat er seit Tagen nicht gesehen.

Es fehlen 45000 Lkw-Fahrer

So sieht nicht jeder Arbeitstag von Lkw-Fahrern in Deutschland aus, aber viele. Und das beschriebene Szenario liefert einen ersten Erklärungsansatz für ein immenses Problem der deutschen Logistikbranche: Den Speditionsunternehmen gehen die Fahrer aus. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) schlug vergangenes Jahr deswegen in einer Pressemitteilung Alarm. Rund 45000 Fahrzeugführer fehlen derzeit in den deutschen Logistikunternehmen – Tendenz steigend. Der Grund ist die Altersstruktur. In seinem Jahresbericht 2017/2018 schreibt der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), dass jährlich etwa 30000 Lkw-Fahrer in Rente gehen, aber nur rund 16500 Kraftfahrer aus der Berufskraftfahrer-Ausbildung beziehungsweise Qualifizierung kommen.

Das ist zwar Rekord, aber trotzdem zu wenig. Denn wie die gesamte Gesellschaft treffen auch die Logistikbranche die Folgen des demographischen Wandels: Der Markt an Berufseinsteigern wird kleiner. Für die Geschäftsführerin des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS), Sabine Lehmann, sind andere Branchen im Kampf um Berufseinsteiger im Vorteil. „In der Orientierungsphase wirken viele Arbeitsstellen wesentlich attraktiver als die des Berufskraftfahrers. “ Deswegen drohe die Alterspyramide zu kippen.

Auch der Vorsitzende des Bunds Deutscher Berufs-Kraftfahrer (BDBK), Wolfgang Westermann, sieht die Gründe in der mangelnden Attraktivität des Berufsfelds: „Junge Leute scheuen die Arbeitszeiten und das lange Fortbleiben von zu Hause. “ Die heutige Generation der Berufseinsteiger habe hohe Ansprüche bei der Berufswahl. „Die Work-Life-Balance ist nicht nur bei Bürojobs ein Thema“, sagt Lehmann. Auch das Einstiegsgehalt ist – gerade in Zeiten positiver Konjunktur – mit 2000 Euro brutto nicht übermäßig hoch. Zudem schrecken die hohen Kosten von 3000 bis 5000 Euro für den Lkw-Führerschein viele Interessierte ab, wie ein Geschäftsleitungs-Assistent eines Logistikunternehmens erklärt. „Da muss man lange für arbeiten, um das Geld wieder verdient zu haben. “ Quer durch die Branche sehen aber alle Beteiligten ein viel größeres Problem: Der Beruf des Brummifahrers hat ein schlechtes Image.
„Das macht keinen Spaß“

Kapitäne der Landstraße nennt man Berufskraftfahrer heute nicht mehr. In den 1980er-Jahren sei das so noch gewesen, erzählt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des BGL, Martin Bulheller. Es sei nicht nur das Problem, dass zu wenige in den Beruf einsteigen, sondern auch dass zu viele frühzeitig aufhören. „Die Wertschätzung ist stark verloren gegangen“, sagt er. „Die Arbeitsbedingungen beim Be- und Entladen beim Kunden sind immer schlimmer geworden. “ Hinzu kommen Termindruck, eine hohe Eigenverantwortung, einen der viel zu wenigen Parkplätze zu finden, und die mangelnde Hygiene der sanitären Einrichtungen an Rastplätzen. „Das macht keinen Spaß“, sagt Bulheller. Die Konsequenz: Viele Kraftfahrer wechseln in die Industrie, die familienfreundlichere Arbeitszeiten und mehr Gehalt bieten kann. Außerdem sprechen sich solche Bedingungen zu potenziellen Berufseinsteigern herum.

Dieses Imageproblem scheint die deutlich größere Herausforderung zu sein als der schnöde Mammon. „Das Gehaltsgefüge wurde schon angehoben, die Unternehmen müssen auch bei den Sozialleistungen entgegenkommen“, sagt Westermann. „Es ist trotzdem unmöglich, neue Fahrer zu finden. “ Teilweise werben sich die Firmen die Angestellten gegenseitig ab. „Die Bezahlung ist nicht der Grund für den Fahrermangel“, sagt auch Lehmann. Berufseinsteiger würden eher zeitliche Flexibilität und Karriereaussichten vermissen. Verstärkt durch die Aussicht auf schwierige Arbeitsbedingungen auf der Straße, beim Kunden und an den Rastplätzen entsteht eben jenes schlechte Image des Kraftfahrerberufs, das abschreckt oder zum Wechsel motiviert. Die Logistikunternehmen haben die Situation erkannt, die Bemühungen sind nicht nur auf dem Gehaltszettel sichtbar. Die Firmen bezahlen häufig den teuren Lkw-Führerschein, finanzieren Umschulungsmaßnahmen, investieren in die Ausbildung. „Manche Betriebe bieten ihren Fahrern Jobs im Lager oder in der Disposition an“, sagt Lehmann. „Die Unternehmen, die sich nicht kümmern, haben den ersten Schritt zum Marktaustritt gemacht. “ Auch die Abschaffung der Wehrpflicht schmerzt die Branche. „Früher kamen jährlich 15000 Inhaber eines Lkw-Führerscheins von der Bundeswehr“, erklärt Bulheller. „Die haben für große Entlastung gesorgt. “

Ein Problem der ganzen Gesellschaft

Dieser Fahrermangel ist zunächst einmal ein betriebswirtschaftliches Problem. Logistikunternehmen müssen Transporte ablehnen, teilweise sogar Lastkraftwagen stilllegen – und Umsatzeinbußen hinnehmen. Gleichzeitig steigen die Personalkosten, weil die Betriebe um Gehaltserhöhungen häufig nicht herumkommen. Dabei bleibt es aber nicht. In einer Marktwirtschaft wird aus einem flächendeckenden Problem der Firmen schnell ein volkswirtschaftliches Thema. Die gestiegenen Ausgaben für Personal und Maut machen den Transport teurer. Diese Kosten geben die Logistikunternehmen an die Händler weiter – und weil gerade im Lebensmittelbereich die Gewinnmargen recht gering sind, steigen die Produktpreise irgendwann zwangsläufig. Vorausgesetzt, die gewünschte Ware kommt überhaupt an. „Uns steht ein Versorgungsengpass bevor“, warnt deshalb Bulheller. Es habe schon Supermärkte gegeben, die manche Produkte nicht anbieten konnten, weil der Transport ausfiel. Der Fahrermangel könnte die gesamte Gesellschaft bald empfindlich treffen. „Wenn sich die Situation weiter verschärft, wird entweder die Auswahl kleiner oder die Produkte werden teurer“, sagt Lehmann. Oder beides.

Der deutschen Wirtschaft drohen auch andere negative Konsequenzen. Zwar steigt die allgemeine Transportnachfrage – und hier vor allem der Straßengüterverkehr – wegen des anhaltenden Konjunkturhochs an. Für 2018 erwarteten Experten ein Wachstum des Straßengüterverkehrs um 1,6 Prozent. Doch von der guten Auftragslage und den höheren Transportpreisen können deutsche Unternehmen wegen des Fahrermangels nicht wie gewünscht profitieren. Der Marktanteil ausländischer Unternehmen am deutschen Güterverkehr hat sich laut Bulheller in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Vergangenes Jahr konnten ausländische Unternehmen die Transportleistung auf deutschen Straßen um 4,9 Prozent steigern, inländische Unternehmen dagegen nur um 1,2 Prozent.

Deswegen besteht über die Verbände hinweg Einigkeit darüber, dass das Berufsfeld attraktiver werden muss. Sie fordern mehr und besser ausgestattete Rastplätze, eine größere öffentliche Anerkennung für die Leistung der Berufskraftfahrer und ein Entgegenkommen bei den Arbeitszeiten. Der Grundtenor einer ganzen Branche: Der Beruf braucht ein besseres Image, sonst könnten nicht nur auf die Logistikunternehmen schwere Zeiten zukommen.

Quelle dieses Artikels klick hier : Donaukurier