Brummis im Blick

WIESBADEN, STADT – Vom Lieferwagen bis zum 40-Tonner: Alle werden aus dem fließenden Verkehr herausgewunken, keiner wird ausgelassen an diesem Morgen im Kasteler Gewerbegebiet. Dort haben Polizei, Zoll, Umweltamt und andere Behörden eine Kontrollstelle eingerichtet. Sicherheitswoche für den gewerblichen Güterverkehr: Der Gefahrgut-Ingenieur Gerd Kölb, weiß, wovon er spricht. Von der Brandkatastrophe im hessischen Herborn, als 1987 bei einem Tanklaster die Bremsen versagten und Teile der Stadt in Flammen aufgingen. Er war damals im hessichen Innenministerium mit der Aufarbeitung des Unglücks befasst. Für ihn war die Katastrophe ein Schlüsselerlebnis. Ladungssicherung sei doch keine Schikane: „Es geht um eure Sicherheit“, sagt der Sachverständige und wirft einen Blick auf die Fahrer.

Fahrzeugzustand, Arbeitszeit, Mindestlohn, Beladung: Alles wird an diesem Morgen überprüft und unter die Lupe genommen. Zunächst Standardfragen nach Papieren, Warnwesten und Verbandskasten, dann geht es ans Eingemachte. Viele Fahrer lassen die Prozedur über sich ergehen, manche wirken aufgekratzt. Einer schleppt seine Kaffeetasse über die Straße mit hinüber zum Zoll. Andere schauen betreten wie Jungs, die man bei Verbotenem ertappt hat. „Entschuldigung“, murmelt einer, der keine Warnweste dabei hat. Einige müssen umräumen und Gurte nachspannen, damit die Ladung nicht verrutscht. Einige Laderäume gleichen rollenden Werkstätten, vollgepackt mit Werkzeug, das einem in der nächsten Kurve um die Ohren fliegen würde. Die Kontrolleure legen es nicht zwingend darauf an, den Transportweg zu unterbrechen. „Mal sehen, wie wir den wieder auf die Straße bekommen“, sagt Bernhard Thomas von der Stadtpolizei, der in Kastel die Einsatzleitung hat. In einem Wagen herrscht Chaos, links und rechts Arbeitsflächen, der Platz dazwischen mit Material gefüllt.

Die Beamten sind einiges gewöhnt. Tags zuvor hatten sie an der Platte nördlich von Wiesbaden eine Kontrollstelle aufgeschlagen und ernüchtert Bilanz gezogen: Gerade ein Fahrzeug war mängelfrei, alle anderen wurden beanstandet. Auch in Kastel kommen nicht alle ungeschoren davon. Die Nähe des Postverteilzentrums bringt es mit sich, dass Subunternehmer unterwegs sind. Bei einem Transporter erkennt man auf den ersten Blick, dass er im Alltagsbetrieb hart herangenommen wird. Die Trittstufe am Heck hängt schräg in den Angeln: ein Fall für den Arbeitsschutz. Die Verständigung mit dem Fahrer aus Bulgarien ist schwierig. Radebrechen auf Englisch ist angesagt. Doch es klappt. Hinter ihm bringt ein Fahrer seinen Volvo-Sattelschlepper zum Stillstand, ebenfalls aus Bulgarien. Die Polizisten schauen sich die Reifen an. Ob sie Profil haben, ob sie einseitig abgefahren sind. Ein Fachsimpeln setzt ein: Hauptsache, die Hauptlauffläche ist in Ordnung. Alles in Ordnung. Abgefahrene Reifen werden oft gleich an den Kontrollstellen gewechselt, damit es weiter gehen kann. Wenn es hart auf hart kommt, ziehen die Kontrolleure jedoch auch Wagen aus dem Verkehr. Der Einsatzleiter erinnert sich an einen drastischen Fall, bei dem ein Laster nicht mehr weiterfahren durfte. Er wies über 40 Mängel auf, von abgefahrenen Reifen über verschlissene Bremsen bis zu einem verzogenen Chassis. „Das war richtig heftig“, sagt Thomas. Ein weiterer Laster wurde zurück zum Betrieb nach Walluf eskortiert.

Die Grundlinie ist, den Güterverkehr am Laufen zu halten. Die Beamten helfen nach, wenn es im Betrieb mit der Einweisung nicht richtig geklappt hat. Ihre Beratung beschleunigt das Fortkommen: „So kann das nicht beladen werden“, ruft der Sachverständige Kölb einem Fahrer zu und zeigt ihm, wie man die Gurte richtig spannt, damit eine Palette mit Fußbodenlaminat während der Fahrt nicht wie ein Spielball quer durch den Laderaum fliegt. Ein Transporter hat einen schweren Mangel. Wo das Schloss an der Seitentüre sitzen müsste, gähnt ein Loch im Blech.

Der Servicewagen eines Wohnungskonzerns wird besonders scharf in den Blick genommen. „Der Zoll möchte das Fahrzeug überprüfen“, heißt es. Das Hauptzollamt Darmstadt ist an der Kontrollstelle im Gewerbegebiet Petersweg in großer Besetzung vertreten. Es spult ein großes Programm ab: Schwarzarbeitsgesetz, Mindestlohngesetz, Entsendegesetz, Sozialversicherung, um nur einige zu nennen Es geht um den Schutz der Arbeits- und Sozialordnung. Arbeitgeber, die an der Sozialversicherung sparen wollen, wären im Zweifel ebenso dran, wie Arbeitnehmer, die von Sozialleistungen leben und ihr Entgelt nicht angäben.

In der Ernst-Galonske-Straße stehen Hütchen aneinandergereiht auf der Fahrbahn. Der Polizist vom fünften Revier, der die Wagen zur Kontrollstelle winkt, scheint einen sechsten Sinn für die passende Auswahl zu haben. Ein Sattelschlepper mit einem Seecontainer rollt heran, der eine weite Reise hinter sich hat. Der Inhalt: als Gefahrgut deklarierte Ladung. Der Zahlenschlüssel auf einer Warntafel weist auf umweltgefährdende feste Stoff hin. Dem Fahrer ist jedoch nicht bewusst, was er auf seinem Aufleger durch die Stadt transportiert. Wegen der Gefahrstofftransporte ist das Umweltamt mit von der Partie. Es hat drei Mitarbeiter, die mit kritischem Blick und der Gefahrgutverordnung unter dem Arm bei den Kontrollen dabei sind, damit kein Unheil passiert. Vieles ist nicht harmlos, was auf den Straßen bewegt wird. Mancher macht sich keine Vorstellung von dem Gefahrenpotenzial von Ladung und Material. Container aus China etwa würden oft mit Methylbromid begast, einem in Europa verbotenen Stoff. Diese Container müssten auffällig gekennzeichnet werden. Ein unbedachtes Entriegeln der Türen: „Das kann tödlich sein“, sagt der Sachverständige Kölb.

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