„Einmal durchs Strafgesetzbuch gearbeitet“

Als 14-Jähriger fuhr Andreas B. einen Polizisten tot. Heute ist der Intensivstraftäter mit dem Spitznamen „Brummi-Andi“ 33. Beim jüngsten Prozess wegen Körperverletzung, Brandstiftung und anderen Delikten wird eine Frage laut: Ist er resozialisierbar?

Es sind harte Sätze, die im Gerichtssaal 0.020 des Landgerichts Aachen über Andreas B. fallen. „Er hat sich einmal durch das Strafgesetzbuch gearbeitet“, sagt die Nebenklägerin in ihrem Plädoyer am Montagvormittag. „Es fehlt das letzte Quäntchen für eine Sicherungsverwahrung“, sagt die Staatsanwältin. Der Angeklagte B. gehe „Schritt für Schritt in diese Richtung“. Mit 33 Jahren steht der Angeklagte an der Schwelle zum dauerhaften Aufenthalt hinter Gittern, weil er notorisch Straftaten begeht.

B. hat bereits mehr als elf Jahre im Gefängnis gesessen. „Die restliche Zeit habe ich meist zugeknallt auf diesem Planeten verbracht“, sagte der Mann mit Kurzhaarschnitt und Brille über sich am ersten Prozesstag Mitte Oktober 2018.

Vor dem Landgericht endet ein ungewöhnlicher Prozess gegen einen offenbar notorischen Kriminellen. Es geht unter anderem um kleinere und mittlere Kriminalität, um versuchte schwere Brandstiftung, Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Geldfälschung, Sachbeschädigung. Und vor allem um Delikte im Straßenverkehr.

Das „Crash-Kid“ hatte einen eigenen Manager

Der vorbestrafte Mann aus dem nordrhein-westfälischen Monheim war bereits Ende der 90er-Jahre als Jugendlicher bekannt geworden, weil er damals mit geklauten Autos herumraste. Die Boulevardmedien nannten den Sohn eines Berufskraftfahrers „Crash Kid“ und „Brummi-Andi“. Sie zahlten teilweise viel Geld, um ihn zu begleiten. Zeitweise leistete er sich einen Manager für die Terminabsprachen.

Eine Erziehungsmaßnahme auf der spanischen Insel La Gomera ging gründlich schief: Er klaute das Auto einer Betreuerin und verschwand für einige Wochen mit einem Boot. Als 14-Jähriger war er dann mit einem gestohlenen Lkw durch halb Europa unterwegs, durchbrach eine Polizeisperre in den Niederlanden und tötete dabei einen Polizisten. B. wurde damals zu einer vierjährigen Jugendstrafe verurteilt. Im Gefängnis vergewaltigte er mit 16 Jahren einen Mithäftling und musste drei weitere Jahre absitzen.

Auch danach wurde er immer wieder erwischt und kam jeweils für mindestens mehrere Monate hinter Gitter. Im Februar 2018 nahm ihn die Polizei erneut in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft legte ihm mehr als 70 Taten seit 2017 zur Last. B. erzählte im Prozess vor dem Landgericht Aachen aus seiner kaputten Kindheit. Die Mutter war alkoholkrank, der Vater als Lkw-Fahrer meist unterwegs. B. kam ins Heim, haute Dutzende Male ab.

Er besitzt laut Aussage eines Gutachters einen Intelligenzquotienten von 140 – und doch entschied er sich immer wieder für die Kriminalität. Einmal stellte er einen Videomitschnitt öffentlich auf seine Facebook-Seite. Die Aufnahme zeigte eine flehende Frau mit Platzwunde am Kopf, und es wurde klar, dass B. ihr die Verletzung zugefügt hatte. Er filmte sich selbst beim Fahren und protzte damit in den sozialen Medien. Einen Führerschein besitzt er nicht.

Die Resozialisierung, die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft, gehört zu den obersten Zielen des bundesdeutschen Strafrechts. Bei Andreas B. hingegen schien ein Gefängnisaufenthalt bisher lediglich den Weg zur nächsten Straftat hinauszuzögern. B. zeigte immer wieder Reue vor Gericht, ohne sein Verhalten zu ändern. Längst steht im Raum, ob er eine Gefahr für die Allgemeinheit ist und nach Verbüßung der Haftstrafe in der Sicherungsverwahrung unterzubringen ist.

Ein Gutachter kam in dem Prozess zu dem Schluss, dass Andreas B. voll schuldfähig sei und ein Unrechtsbewusstsein besitze. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sah auch keinen Hang zum Realitätsverlust. B. soll oftmals spontan gehandelt haben. Der Angeklagte selbst erzählte, dass er ständig unter Drogeneinfluss gestanden habe. Schon morgens trank er laut eigener Darstellung Wodka; tagsüber konsumierte er Kokain und Marihuana. Bei den illegalen Fahrten befand er sich im Rausch von bis zu drei Promille.

Ein Vorwurf gegen Andreas B. lässt sich im Prozess nicht zweifelsfrei belegen: dass er Frauen der Zwangsprostitution unterworfen hat. Zeuginnen entlasteten ihn überraschend; sonst wäre nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Grenze zur Sicherungsverwahrung überschritten gewesen. „Die charakterliche Ungeeignetheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben“, konstatiert die Staatsanwältin. Er sei aggressiv aufgetreten, habe geschrien; auf Sprachnachrichten seines Smartphones seien seine „ganze Wut und Unbeherrschtheit“ zu hören gewesen.

„Tickende Zeitbombe“

Der Vorsitzende Richter Jürgen Beneking verkündet am Nachmittag das Urteil: B. wird zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem verlängert sich seine Führerscheinsperre um weitere fünf Jahre. Die 7. Große Strafkammer des Landgerichts hat mehr entlastende Gründe als die Staatsanwaltschaft gesehen.

Die Haftstrafe wäre wohl deutlich höher ausgefallen, wenn wichtige Belastungszeugen ihre Beschuldigungen in Vernehmungen der Polizei nicht plötzlich vor Gericht zurückgenommen hätten. Deshalb sei „in dubio pro reo“, also im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, „wenn die Belastungszeugen nicht hinreichend glaubwürdig sind“, sagt Beneking.

B. war höflich vor Gericht, doch die Sprachnachrichten von ihm seien „unterste Schublade“ und die geäußerten Bedrohungen „widerwärtig“ gewesen, befindet das Gericht. „Es scheint so zu sein, als habe man es hier mit zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun“, sagt der Richter. Nach Auffassung der Strafkammer ist Andreas B. noch zu jung für eine Sicherungsverwahrung. Man könne den verfestigten Hang zu schweren Straftaten noch nicht einwandfrei feststellen; es lasse sich noch nicht endgültig sagen, dass er nicht einsichtsfähig sei.

Wenn es mit den Straftaten weitergehe, „dann gibt es garantiert Sicherheitsverwahrung“, mahnt Richter Beneking. Ein Polizeibeamter bezeichnete den nun Verurteilten im Prozess einmal als „tickende Zeitbombe“. Andreas B. wirkt am Tag der Urteilsverkündung recht unbeeindruckt. Kurz bevor das Urteil fällt, drehte er sich zu den Zuschauern im Gerichtssaal, sieht ein bekanntes Gesicht und kneift lässig ein Auge zu.

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