Zeitfracht denkt über Wegzug aus Berlin

Berlin. Dass sich die Berliner Unternehmensgruppe Zeitfracht ihrer Tradition verpflichtet sieht, können Besucher bereits kurz nach dem Betreten der Firmenzentrale am Friedrich-Olbricht-Damm in Charlottenburg erahnen. In dem Gebäude begrüßt eine Statue von Horst Walter Schröter die Gäste. Schröter hatte das Unternehmen 1927 als Fuhrbetrieb gegründet. In den Jahrzehnten danach hat sich Zeitfracht stetig weiter entwickelt – zuletzt sogar rasant. Erst im vergangenen Jahr erwarb der Konzern Deutschlands größten Buchlogistiker KVN. Seit August dieses Jahres ist zudem das niedersächsische Unternehmen First Wise Teil der Zeitfracht-Familie. First Wise beliefert rund 1800 Online- und Einzelhändler mit Elektronikprodukten.

Mit einer liebgewonnenen Tradition könnte allerdings bald Schluss sein. Seit 1952 hat Zeitfracht seinen Sitz in West-Berlin. Mittlerweile allerdings denkt die Geschäftsführung um deren Sprecher Dominik Wiehage und Finanzchef Wolfram Simon-Schröter laut über eine Verlagerung des Hauptquartiers nach. Hintergrund für die Überlegung ist unter anderem der hohe Aufwand bei der An- und Abmeldungen von Lastwagen in Berlin. Dabei erlebte Zeitfracht in diesem Jahr ein – nach eigenen Angaben – „totales Desaster“. „Wir haben in Berlin 30 Lkw an- und abgemeldet. Bei unseren Niederlassungen waren es etwa 400. Dort haben wir zwei Tage dafür gebraucht. In Berlin haben wir zehn Monate damit zugebracht“, sagte Simon-Schröter der Berliner Morgenpost.

Zeitfracht beliefert mit den verschiedenen Unternehmensteilen bundesweit mehrere Tausend Händler und Märkte und hat nach eigenen Angaben 935 Lkw und sogenannte Wechselbrücken in der Flotte, um eine reibungslose Logistik zu gewährleisten. Alle drei Jahre würden die Fahrzeuge ausgetauscht und neue angeschafft, so Simon-Schröter. Ein Großteil der firmeneigenen Lastwagen sei deswegen auch schon mit Abbiegeassistenten ausgerüstet. „Ich höre mir von der Politik diesbezügliche Wünsche an. In diese Sicherheitstechnik zu investieren ist auch richtig. Dummerweise werden die Unternehmen aber behindert, die neuen Fahrzeuge überhaupt zuzulassen“, sagte er. Es stelle sich deshalb die Frage, ob Zeitfracht künftig seinen Sitz überhaupt noch in Berlin haben werde, so Simon-Schröter.

Zeitfracht hat knapp 3000 Mitarbeiter, davon 1000 in Berlin, und ist mit Logistikeinheiten zudem noch in Erfurt, Leipzig und im niedersächsischen Heeslingen vertreten. In anderen Bundesländern seien für die Lkw Sammelanmeldungen möglich, in Berlin hingegen nach Angaben des Unternehmens nicht. Simon-Schröter sagte, er wolle die Kritik nicht als generelle Abrechnung mit Rot-Rot-Grün verstehen wissen. Auch in Thüringen gebe es eine Regierung mit der Linkspartei und dort werde Unternehmen wie Zeitfracht gewissermaßen der rote Teppich ausgerollt. „Da kommt der Minister in regelmäßigen Abständen mit seiner Behörde, wird bei uns vorstellig und fragt, was wir benötigen, um uns weiterentwickeln zu können“, so Simon-Schröter, der bis Ende März Zeitfracht noch selbst führte und dann an den neuen Geschäftsführer Dominik Wiehage übergab. Für die Berliner Unternehmensgruppe hatte der Kontakt zur Politik in Thüringen auch ganz praktische Folgen: Kurz nach einem Zusammentreffen sei der Betrieb einer Buslinie bis an den Erfurter Standort von KVN Zeitfracht verlängert worden. Die Mitarbeiter könnten seitdem mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren. In Berlin hingegen gebe es keinen Austausch mit der Politik, kritisierte Wiehage.

FDP: Berlin braucht Regierung, die dafür sorgt, dass die einfachsten Dinge funktionieren

Die FDP-Fraktion in Berlin kann die Überlegungen, den Firmensitz zu verlagern, auf Anfrage nachvollziehen: Der Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja sagte der Berliner Morgenpost, seit Jahren würden sich Unternehmen und Selbstständige über die desaströsen Zustände in der Berliner Verwaltung beschweren und seit Jahren komme der Senat nicht bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen voran. „Das hat ganz reale Folgen für die Stadt, denn wenn Firmen und damit Arbeitsplätze wegziehen, fallen nicht nur Steuereinnahmen weg, sondern auch Zukunftschancen und Existenzgrundlagen für viele Einzelne. Unsere Stadt braucht endlich eine pragmatische Regierung, die dafür sorgt, dass die einfachsten Dinge wie die An- und Abmeldung eines Fahrzeugs wieder funktioniert“, so Czaja weiter.

­­Das letzte Wort über die Verlagerung des Konzernsitzes ist allerdings noch nicht gesprochen. Zeitfracht hat nach Morgenpost-Informationen aber schon mit mehreren Wirtschaftsfördergesellschaften anderer Bundesländer und Städte über die Überlegungen gesprochen – und auch positive Signale erhalten. Der Sitz der Logistiksparte ist bereits im August dieses Jahres nach Erfurt verlegt worden. Damit einher ging nach Angaben des Unternehmens auch die Verlagerung von 400 Arbeitsplätzen von Berlin in die thüringische Landeshauptstadt. Zeitfracht betonte damals, in Erfurt auch durch schnelle Verwaltungsentscheidungen seitens des Landes und der Kommune beste Voraussetzungen für den geplanten weiteren Expansionskurs des Unternehmens zu sehen. Der Standort bietet zudem, so Zeitfracht, beste Erweiterungsmöglichkeiten. In Berlin hingegen sei die Suche nach einer Freifläche bislang erfolglos verlaufen, sagte Simon-Schröter.

Logistiker Zeitfracht will Digitalisierung vorantreiben

Zeitfracht werde das kommende Jahr auch dafür nutzen, Dinge neu zu ordnen und die neu dazu gekauften Firmen besser miteinander zu verzahnen, erklärte Neu-Geschäftsführer Dominik Wiehage. „Ich sehe es als meine Aufgabe an, eine bessere Vernetzung herzustellen und die neuen Firmen in die Zeitfracht-Familie zu integrieren“, sagte Wiehage. Sowohl KNV Zeitfracht als auch First Wise Zeitfracht soll dabei künftig über ihre Kernbranchen hinaus auch Logistik-Dienstleistungen für andere Branchen anbieten. KNV Zeitfracht in Erfurt hat bereits seit September den ersten Kunden, der nicht auf dem Buchmarkt aktiv ist: Der Berliner Online-Shop Tausenkind greift seitdem auf die Hilfe von KNV Zeitfracht zurück. Ähnlich könnte auch der niedersächsische Neueinkauf First Wise Zeitfracht agieren, den der Zeitfracht-Konzern aus der Insolvenz heraus gekauft hatte.

Zeitfracht treibt in den einzelnen Unternehmensteilen aber auch die Digitalisierung mehr und mehr voran. KNV Zeitfracht betreibt mittlerweile für rund 1000 Buchhändler einen Web-Shop. Das digitale Einkaufserlebnis soll sich im neuen Jahr weiter verbessern und durch neue Funktionen ergänzt werden, kündigte Wiehage an. Das Marzahner Raumfahrtunternehmen Planetary Transportation Systems GmbH (PTS) arbeitet zudem für die Logistik-Sparte derzeit an einem Tracking-System. Mithilfe der digitalen Technik solle künftig die Auslastung effektiver gestaltet, Touren besser geplant und die Qualität gegenüber dem Kunden verbessert werden können, so Wiehage.

Im Geschäftsfeld Luftfahrt fliegt Zeitfracht nun auch die Fußball-Bundesligisten Union Berlin und Hertha BSC

Der Manager hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Sprecher der Zeitfracht-Geschäftsführung aber auch einen Rückschlag hinnehmen und verkünden müssen. Mitte April hatte Wiehage als damaliger Geschäftsführer der Fluggesellschaft LGW Insolvenz anmelden müssen. Die Lufthansa-Tochter Eurowings hatte zuvor wegen der Corona-Krise die Leasing-Verträge für die 15 LGW-Maschinen gekündigt. Das habe LGW die Geschäftsgrundlage entzogen, so Wiehage. Es sei damals auch über Hilfskredite nachgedacht worden, die Überlegungen dann aber wieder verworfen. „Die Margen in dem Geschäft sind nicht so üppig, als das es möglich wäre, mehrere Jahre lang auch noch einen Kredit zu bedienen“, so Wiehage. Der Insolvenzverwalter hat die letzten Arbeitsverträge der 300 LGW-Mitarbeiter zu Ende Oktober gekündigt.

Die Insolvenz hat auch Zeitfracht viel Geld gekostet. Bedrohlich für das Gesamtunternehmen sei der LGW-Konkurs aber nie gewesen, betonte Finanzchef Simon-Schröter. Der Anteil der Luftfahrt liege in der Konzernbilanz bei nicht mal zehn Prozent. Auch in diesem Jahr werde das Unternehmen bei mehr als 500 Millionen Euro Umsatz wieder schwarze Zahlen schreiben. Ganz verabschiedet hat sich Zeitfracht aus dem Bereich Luftfahrt übrigens nicht: Unter der Marke German Airways führt Zeitfracht mit fünf Embraer-Maschinen Charterflüge durch für verschiedene Kunden. Neben Unternehmen bedient German Airways dabei auch Sportmannschaften: Unter anderem die Fußballspieler von Union Berlin, Hertha BSC, des VfL Wolfsburg und die Basketballer von Bayern München haben bereits auf die Flieger zurückgegriffen.

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