Wie das Landeskriminalamt gegen Planenschlitzer vorgeht

Dicht an dicht stehen die Lkw nachts auf den Rastplätzen entlang der Autobahnen und werden dort zum Ziel von sogenannten Planenschlitzern. Ihnen hat das Landeskriminalamt den Kampf angesagt.

Herr Zahel, Sie verstärken Ihren Kampf gegen die sogenannten Planenschlitzer. Was verbirgt sich hinter diesem Phänomen?

Zahel: Unter Planenschlitzen versteht man den Diebstahl von Lkw-Ladung, im Regelfall auf Autobahn-Rastplätzen, aber auch in Gewerbegebieten. Das Besondere dabei ist, dass die Täter die seitlichen Planen aufschlitzen, um durch das aufgeschnittene Loch zu schauen, was der Lastwagen transportiert.

Auf was haben es diese Diebe denn abgesehen?

Das hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Früher hatten die Täter meist nur hochwertige Ladung wie teure Elektroprodukte im Visier. Mittlerweile wird Ladung in fast allen Facetten entwendet – Nudeln, Kekse, Rasierklingen, Fernseher, Stofftiere. Zurzeit sind auch Fahrräder und E-Bikes sehr begehrt. Nach Auskunft der Sachversicherer werden aber nicht mehr nur Endprodukte gestohlen, sondern immer mehr auch deren Bestandteile, wie etwa Zutaten für ein Düngemittel. Für die Täter ist der Vertriebsweg entscheidend, also ob sie die erbeutete Ware verkaufen können.

Wie oft passiert diese Art von Klau?

In den vergangenen Jahren verzeichnete die Polizei in Niedersachsen jeweils 700 bis 800 Fälle. Allerdings werden nicht alle Fälle angezeigt. Inzwischen stellen wir Gott sei Dank einen Rückgang fest, weil unsere Gegenmaßnahmen im Rahmen des Projekts „Cargo“ offensichtlich zu wirken beginnen. Ungefähr die Hälfte der Delikte sind Versuchsstraftaten, bei denen die Ware unbehelligt bleibt und nur die Plane beschädigt wird. Aber selbst dies ist schon teuer genug; eine fachmännische Reparatur kostet mehrere tausend Euro.

Können Sie Einzelfälle nennen?

Im November 2018 verschwanden von einem Lkw auf einem Speditionsgelände im Ammerland 1200 Flaschen Havanna Club und 714 Flaschen Ballentine’s mit einem Gesamtschaden von 26 500 Euro. Hier konnten zwei rumänische Tatverdächtige ermittelt werden. Im Februar 2019 wurden an der A 1 bei Wildeshausen 33 hochwertige Fahrräder im Gesamtwert von 33 000 Euro entwendet. Im Bereich der Polizeidirektion Göttingen erbeuteten im November 2017 die Täter 113 Flachbildschirme im Wert von 150 000 Euro. Hier konnten die Kollegen slowakische Tatverdächtige ermitteln. Auf der Raststätte Wülferode bei Hannover wurden 1000 Paar Puma-Schuhe entwendet, als Tatverdächtige stellte die Polizei vier Männer aus Weißrussland fest. Unsere Fahndungserfolge nehmen inzwischen zu.

Wie hoch sind die Schadenssummen insgesamt?

2016 und 2017 waren es in Niedersachsen jeweils rund fünf Millionen, 2018 rund acht Millionen Euro.

Wie gehen die Diebe vor?

Sehr professionell. Es handelt sich oft um osteuropäische Banden, die arbeitsteilig und mit mehreren Fahrzeugen diese Straftaten begehen. In der ersten Phase fahren die Täter in einem unauffälligen Auto über den Parkplatz und baldowern aus, ob dort Polizei ist. Wenn nicht, rufen sie über Handy oder Funk ihre Komplizen, die mit einem eigenen Transportfahrzeug anrücken. Diese schlitzen die Planen auf, betrachten die Beute und klären dann erst einmal über Handy, ob sie dafür auch Abnehmer finden. Kommt dafür das Okay, wird die Hecktür des Lkw aufgebrochen, das Diebesgut entladen und auf den Kastenwagen umgepackt.

Und dann?

Danach geht es meist ab ins Ausland, wo die Hinterleute sitzen und von wo aus die Ware oft übers Internet abgesetzt wird. Besonders interessant sind für die Täter Produkte, die anders als Fahrzeugteile oder Fahrräder keine Identifikationsnummern haben und deshalb keiner Straftat zugeordnet werden können. Gern geklaut werden deshalb zum Beispiel Red-Bull-Dosen. Die haben keine Nummern, sind palettenweise relativ leicht zu transportieren und finden übers Internet oder auf Märkten im Ausland schnell ihre Abnehmer. Solche organisierten Hehlerstrukturen wollen wir zerschlagen.

Man könnte das Planenschlitzen durch feste Lkw-Seiten etwa aus Stahl doch von vornherein leicht verhindern.

Das ist aber teuer. Genau solche Lösungen haben wir in unserem länderübergreifenden Projekt „Cargo“ unter Leitung von Sachsen-Anhalt und mit Unterstützung von Europol diskutiert. Das niedersächsische LKA ist dort federführend für die Prävention. Auf einem zweitägigen Workshop vor einigen Wochen war neben der Polizei die gesamte Transportkette vertreten: Spediteure, Fahrer-Gewerkschaften, Logistik-Experten, Versicherer, Raststätten-Betreiber. Mit dabei war auch der internationale Transportverband Tapa, dem große Konzerne angehören und der sich hohen Sicherheitsstandards verschrieben hat.

Wie sehen diese aus?

Die Lastwagen der Mitgliedsfirmen verfügen über Stahlaufbauten, fahren mit GPS auf bewachten Korridoren und mit doppelter Besatzung in der Kabine. Die Trucks haben Alarmanlagen, da fahren teilweise Begleitfahrzeuge mit. Nur: Das muss alles bezahlt werden. Das lohnt sich natürlich dann, wenn Sie einen Hänger voll mit den neuesten iPhones im Wert eines zweistelligen Millionenbetrags von A nach B bringen. Das lohnt nicht mehr, wenn Ihr 40-Tonner Lebensmittel im Wert von 35 000 Euro transportiert. Bei dem harten Verdrängungswettbewerb auf der Straße zählen Cent-Beträge. Lkw mit Festaufbau sind auf dem normalen Massenmarkt einfach nicht konkurrenzfähig.

Aber warum soll die Polizei ausbügeln, dass Speditionen aus Spargründen nicht für eine ausreichende Sicherheit sorgen?

Weil wir natürlich Straftaten verhindern müssen und auch wollen. Und weil wir die Lkw-Fahrer vor Angriffen schützen müssen. Hinter den Planenschlitzern stecken oft organisierte Banden aus dem Ausland, die ihre so erzielten Gewinne wieder für andere kriminelle Geschäfte anlegen. Ich möchte, dass die Lastwagen sicher durch Niedersachsen fahren können.

Wie lassen sich solche Delikte dann bei den weniger geschützten Planen-Lkw verhindern?

Man muss erst einmal dafür sorgen, dass die Fahrer uns bei Verdachtsmomenten sofort anrufen – auch dann, wenn es nur zum Versuch gekommen ist und keine Waren verschwunden sind. Etwa 40 Prozent der Fahrer kommen aus dem Ausland, sprechen kaum Deutsch. Fast alle Fahrer haben enge Zeitvorgaben. Jede Störung bringt ihnen Ärger mit dem Auftraggeber. Deshalb verteilen wir entsprechende Flyer in verschiedenen Sprachen. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die Fahrer den Notruf 110 wählen. Dann können wir intervenieren. Bislang ist die Aufklärungsquote nicht zufriedenstellend. Wir hätten viel mehr Chancen, wenn man uns schnell alarmieren würde. Der polnische, der ukrainische, der weißrussische Fahrer kennt oft gar nicht die 110 hier in Deutschland. Hier müssen wir mehr aufklären, mit Flyern, mit Schildern an der Grenze, mit Öffentlichkeitsarbeit und auch mit Besuchen auf Trucker-Treffen.

Nur Appelle an die Fahrer reichen doch nicht.

Natürlich wäre es wünschenswert, dass die Logistik-Branche mehr Geld in die Hand nimmt, um ihre Fahrzeuge besser auszurüsten. Allerdings kommen viele Logistikunternehmen, die im Massenmarkt eingesetzt werden, aus dem – meist osteuropäischen – Ausland. Ein großes Problem sind auch die Kettenverträge mit diversen Sub-Unternehmen. In der Branche wird in Zehntel-Cent-Beträgen pro Kilo Fracht gerechnet.

Haben denn die armen Fahrer am Ende der Kette überhaupt ein Interesse, Diebstähle zu verhindern oder aufzuklären?

Genau hier wollen wir ansetzen und informieren. Wir müssen einfach das Anzeige- und Meldeverhalten in diesen Bereichen deutlich erhöhen. Die Fahrer sollen wissen, dass die Polizei in Deutschland wirklich hilft und sich kümmert. Oft schauen Lkw-Fahrer, die nicht betroffen sind, einfach weg. Wir wollen daher auch den Zusammenhalt auf den Parkplätzen stärken. Taxi-Fahrer helfen sich auch gegenseitig.

Nutzt eine bessere Sicherheitsausstattung an Raststätten?

Es gibt bereits einige Raststätten mit hohen Standards wie ausreichende Beleuchtung, Zufahrtsbeschränkungen, Kamera-Überwachung und Umfriedung der Stellplätze, etwa in Lippertal an der A 2 oder in Guxhagen an der A 7. Nach unseren Zahlen passieren dort auch die wenigsten Straftaten. Nur da zahlt man eben Geld. Das sichere Abstellen eines Fahrzeugs kostet zehn oder 15 Euro pro Nacht. Das ist für die Fahrer aus dem ehemaligen Ostblock schon viel Geld.

Ihr persönlicher Tipp an Fahrer?

Ich würde bei einem Verdacht nicht selbst einschreiten, aber immer die Polizei informieren. Es ist wichtig, dass bei jeder Tat, also auch beim bloßen Versuch, Spurensicherungsmaßnahmen erfolgen. Wenn ich irgendwo stehe, würde ich mich mit Kollegen absprechen. Bei ganz hochwertigen Waren würde ich meinen Chef nach einem zweiten Fahrer fragen. Denn dann rollt der Lastwagen durch, und Planenschlitzer hätten keine Chance. Das Interview führte Peter Mlodoch.

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