Spediteure ziehen die Notbremse

Die in letzter Minute erzielte Brexit-Einigung sorgt für empfindliche Störungen im Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU. Erste Spediteure nehmen vorerst keine Sendungen mehr an.

Von Lothar Gries, tagesschau.de

Keine zwei Wochen nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU werden die Folgen dieser Entscheidung zunehmend zur Belastung für den Handel. Der Warenverkehr zwischen der Insel und dem europäischen Festland ist gestört.

Einige Transportunternehmen wie der deutsche Spediteur DB Schenker nehmen bis auf Weiteres keine Sendungen für den Verkehr zwischen der Insel und der Europäischen Union an. „Wir haben unsere Kunden am vergangenen Mittwoch informiert, dass wir für den Stückgutverkehr von und nach Großbritannien keine Sendungen mehr annehmen“, sagte ein Unternehmenssprecher gegenüber tagesschau.de.

Meist fehlen die nötigen Zollpapiere

Grund sei, dass in 90 Prozent der Fälle die notwendigen Zollpapiere fehlten und dies zusätzlichen Aufwand bedeute. Dabei habe das Transportvolumen noch gar nicht das Volumen aus dem Vorjahr erreicht. Wie lange diese Unterbrechung andauere, lasse sich derzeit nicht sagen, so der Sprecher.

Auch der Paketdienst DPD, eine Tochter der französischen Post, hatte zwischenzeitlich sämtliche Transporte zwischen Großbritannien und der EU ausgesetzt, nachdem zahlreiche Sendungen wegen unvollständiger oder fehlender Zolldokumente an die Versender zurückgeschickt werden mussten. „Aufgrund der neuen, komplexen Prozesse und zusätzlicher, nötiger Sendungsdaten für die zollseitige Prüfung kam es Anfang Januar im grenzüberschreitenden Warenverkehr zu Verzögerungen bei der Sendungsabwicklung“, sagte ein Sprecher gegenüber tagesschau.de. DPD UK hatte deshalb zum 7. Januar den Versand von Waren in die EU ausgesetzt. Seit dem vergangenen Wochenende ist der Service aber wieder verfügbar.

Der Onlineriese Amazon hat ebenfalls auf die Probleme reagiert und Lieferungen von Großbritannien aufs europäische Festland so weit wie möglich eingeschränkt. Kunden, die dennoch Artikel auf der britischen Webseite bestellen, werden gewarnt, dass Zölle, Steuern und Importgebühren die Ware verteuern könnten.

Marktführer DHL Freight, eine Tochter der Deutschen Post, hält dagegen am Warenverkehr mit Großbritannien fest. „DHL Freight ist aktuell voll operativ, und wir haben keinen Annahme- oder Verladestopp“, sagte ein Sprecher gegenüber tagesschau.de.

Jeder fünfte Lkw wird abgewiesen

Ana Boata, leitende Volkswirtin bei dem Kreditversicherer Euler Hermes, ist von den Störungen im Warenverkehr nicht überrascht. Der Deal zwischen Großbritannien und der EU sei „bei weitem“ nicht vollständig und bringe für die Briten aufgrund der fehlenden Vorbereitungszeit eine Übergangsfrist mit sich. Wegen der derzeit herrschenden Unsicherheit komme es zu Störungen an den Grenzen, weshalb viele kleinere Unternehmen den Handel vorerst ausgesetzt haben. „Etwa jeder fünfte Lkw wird an den Kanalübergängen abgewiesen, teilweise wegen des Brexit-Papierkrams“, so Boata in einer Studie.

Tatsächlich werden trotz der vereinbarten Zollfreiheit beim Import in die EU Herkunftsnachweise und umfangreiche Rechnungsdokumente notwendig. Auch kommt es jetzt zu Grenzkontrollen, die es vorher nicht gab. Weil derzeit weder Versender noch Empfänger mit all diesen Hindernissen und Anforderungen vertraut sind, entsteht ein Warenrückstau.

Sinkendes Handelsvolumen befürchtet

Aus der britischen Regierung heißt es, dass es sich um vorübergehende Probleme handele, schließlich müssten sich die neuen Regeln über die nächsten Wochen und Monate erst einspielen. Für Transporteure leicht verderblicher Waren dürfte das ein schwacher Trost sein. Weil der Handel von schottischen Meeresfrüchten mit dem Kontinent praktisch zum Erliegen gekommen ist, protestierten am Montag wütende Transportfirmen in der Londoner Innenstadt.

Einer Studie der London School of Economics zufolge dürften die neuen Handelshürden zwischen Großbritannien und der EU zu einem deutlich geringeren Handelsvolumen sowie zu Einkommensverlusten führen. „Der Brexit wird das Vereinigte Königreich voraussichtlich langfristig ärmer machen, als wenn es EU-Mitglied geblieben wäre“, prophezeit Thomas Sampson, einer der Autoren der Studie „Beyond Brexit“. Zehn Jahre nach dem Brexit werde es trotz des Handelspakts voraussichtlich mehr als ein Drittel weniger britische Exporte in EU-Länder geben, prophezeit der Ökonom.

Umsatzeinbußen von bis zu 27 Milliarden Euro

Auch der Kreditversicherer Euler Hermes ist skeptisch. Großbritanniens Exporteure könnten durch den Brexit im laufenden Jahr Umsatzeinbußen zwischen 12 und 25 Milliarden Pfund erleiden (13,5 bis 27 Milliarden Euro). Gründe seien die schwache Nachfrage, die gestiegene Bürokratie sowie die Abwertung des britischen Pfunds. Besonders betroffen sei die Ausfuhr von Mineral- und Metallprodukten, Maschinen und Elektrogeräte, Transportausrüstung, Chemikalien und Textilien.

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