Experte über Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern: Ausbeutung am Lenkrad

Am Straßenrand parken die Lkw aus Osteuropa in Reihe. Ihre Fahrer – meist Ukrainer oder Georgier – warten auf Ladung. Jan Bergrath weiß, was das oft bedeutet: Die Trucker verstoßen gegen Gesetze. Wie lang sie unterwegs sind, wird kaum kontrolliert.

Jan Bergrath ist Fachjournalist, schreibt seit mehr als einem Jahrzehnt über die Arbeitsbedingungen osteuropäischer Lkw-Fahrer und beschreibt sie als Opfer eines ausbeuterischen Systems der internationalen Logistik. Seine Recherchen führen ihn immer wieder auch nach Bremerhaven. Am Grauwallring ist er heute unterwegs, und er braucht nicht lange zu suchen, bis er fündig wird: Dutzende Lastzüge aus Litauen, unterwegs für eine einzige Spedition.

„Unterwegs für die deutsche Automobilindustrie“, sagt Bergrath. Das Unternehmen wachse aggressiv. In Litauen koste den Spediteur der Fahrer die Hälfte im Vergleich zu Deutschland. Es sei längst Usus, dass das Gros der Fahrer aus Belarus oder der Ukraine komme und sich mit noch weniger zufrieden gebe. „Sie alle verbringen die Wochenenden meist am Straßenrand“, sagt Bergrath. Dabei sei das nach EU-Recht gar nicht zulässig. Mehr als 45 Stunden dürfe keine Pause im Lkw verbracht werden.

Er beschreibt Szenen, die er selbst dokumentiert hat, am Grauwallring sorgten ähnliche Situationen schon vor einem Jahrzehnt für Aufsehen: „Die Fahrer hausieren im Wagen“, den Campingkocher unterm Auflieger. Für die Notdurft bleibe oft nicht mehr als das nächste Gebüsch. Im Speckenbütteler Gewerbegebiet stehen alle paar Meter riesige Mülleimer am Straßenrand.

Dauert die Ruhezeit länger als 45 Stunden, verlangt der Gesetzgeber für die Fahrer eine feste Unterkunft. In Köln, sagt Bergrath über seine Heimatstadt, gehörten zur Ausstattung osteuropäischer Lkw schon Adressen in Hochhaussiedlungen mit 150 und mehr Namen an den Klingelschildern. „Bei Freunden“, sage man dann den Kontrolleuren, habe man übernachtet. Das reiche. Ein Nachweis werde nicht verlangt. „Es wird zu wenig kontrolliert, deshalb haben wir diese Zustände“, sagt Bergrath. Und er kennt sich aus: Der Experte recherchiert seit 35 Jahren zu Themen der Logistikbranche.

Eine Spedition mit 10.000 Lastzügen

Von den mehr als 470.000 Fahrern im deutschen Güterfernverkehr komme auch inzwischen jeder Vierte aus Osteuropa – das Personal polnischer oder litauischer Speditionen zähle nicht dazu. Allein die beiden größten Speditionen aus Litauen unterhielten zusammen eine Flotte von 15.000 Lkw, sagt der Journalist. Seit die internationalen Touren im Europa-Russland-Verkehr bereits vor einem Jahrzehnt weggebrochen seien, drängten die Wagen vermehrt nach Westeuropa. „Georgische Fahrer kurven für polnische Speditionen kreuz und quer durch Europa“, sagt Bergrath. Wollten deutsche Speditionen die Fahrer beschäftigen, müssten die zunächst Prüfungen in deutscher Sprache ablegen und selbst ihren Führerschein erneuern. „Das sind völlig verzehrte Wettbewerbsbedingungen.“

Das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) sei mit gerade einmal 270 Kräften bundesweit zuständig für die Kontrollen, ob die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zum Schutz der Lkw-Fahrer eingehalten werde – der Journalist beschreibt sie als Farce. „Die EU ist in der Lage, eine Verordnung zum Schutz der Fahrer zu erlassen, die am Ende durch eine andere Verordnung mit Vorgaben zur Kontrolle wieder ausgehebelt wird“, sagt er. Denn die Fahrer könnten nicht verpflichtet werden, ihren digitalen Tacho auszulesen. „Das wäre Arbeit und würde die Ruhezeit unterbrechen, die dann wieder von vorn beginnen müsste“, sagt er. Bergrath erzählt von einer Kontrolle des BALM an einem Sonntagabend. „Der Lkw stand seit Freitag, der Fahrer hatte es sich gemütlich gemacht im Wagen. Es war klar, dass die 45 Stunden bis zum Fahrtantritt am frühen Montag überschritten werden“, sagt er. Laut dem deutschen Ordnungswidrigkeitengesetz war die „Tat“ nicht begangen.

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