Schwertransport mit Bauteilen der Windkraftanlagen rollt durch Springen

HEIDENROD – Wie ein riesiger Finger ragt das Rotorblatt über den Häusern von Springen auf. 44 Meter misst der Flügel, der bald eine der drei neuen Windkraftanlagen jenseits des Dorfes antreiben soll. Jetzt rollt der riesige Flügel, hoch aufgerichtet auf einer Art Tieflader, durch die kleine Ortschaft. Bis zu dem Punkt, an dem eine Stromleitung die Straße quert. Der Flügel muss runter – ein hydraulisch angetriebenes Gelenk, an dem das Gebilde aus Glasfaser und Kunststoff mit 144 Schrauben verankert ist, senkt die Last fast bis in die Waagerechte. Langsam schiebt sich das Blatt für die Windenergieanlage Nr. zwei vorwärts.

210 PS hat das Gefährt, auf dem der Flügel durch die kurvige Ortsdurchfahrt bugsiert wird. Vor dem Dorf wird das 13 Tonnen schwere Blatt vom Lastwagen auf den sogenannten „Self propelled modular transporter“ (SPMT) umgeladen. Der SMPT kann den Flügel aufrichten – bis zu einem Winkel von 60 Grad. Eine andere Chance, das sperrige Teil auf die andere Seite des Dorfes und weiter zum Windpark zu bringen, gibt es nicht.

Schwertransporter ohne Führerhaus und Lenkrad

90 Tonnen bringt der SMPT auf die Waage, das Gewicht ruht auf acht, einzeln steuerbaren Achsen. Ein Führerhaus mit Lenkrad sucht man auf dem wuchtigen Fahrzeug allerdings vergeblich. Gesteuert wird das Ungetüm vom Boden aus – per Joystick. Maik Reiners macht den Job seit vier Jahren. Der 23-jährige Mechatroniker arbeitet für den Windanlagen-Hersteller Enercon. Um seinen Hals hängt eine Fernsteuerung, mit der er den SMPT lenkt. Bis zu sechs Stundenkilometer schnell rollt das Fahrzeug den Berg hinab. Die hydrostatisch angetriebenen Achsen sind in beiden Richtungen um 135 Grad drehbar – damit kann das 17 Meter lange Gefährt sogar auf der Stelle drehen. Außerdem verfügt es über einen hydraulischen Höhenausgleich – damit Fahrzeug samt Flügel auch auf einer schiefen Straße nicht aus dem Gleichgewicht kommen. Umgekippt sei ein Fahrzeug aber noch nie – als Zuschauer nimmt man die Aussage mit Erleichterung auf.

Während Reiners lenkt, bedient sein Kollege Marco Andreessen den Flügel. Stellt ihn auf oder fährt ihn herunter, dreht ihn – je nachdem, was die Situation gerade erfordert. Die beiden Jungs sind ein eingespieltes Team; gemeinsam mit ihrem dritten Mann Karl Krupp touren sie über ihren Arbeitgeber, den Windanlagen-Hersteller Enercon, durch ganz Europa.

Die Teile für den Windpark werden nachts geliefert. Die Betonschalen oder die Container mit den Teilen für das Maschinenhaus können direkt durchs Dorf fahren, andere Teile müssen erst umgeladen werden. Dazu gehören auch die riesigen stählernen Turmabschnitte, die den oberen Teil der Anlage bilden. Liegen sie auf dem SMPT, ist die Straße dicht. Dafür, dass der Verkehr angehalten wird und die Strecke frei und befahrbar ist, sorgt die Firma Setreo. Das auf Schwertransporte spezialisierte Logistik-Unternehmen aus Oberkirch koordiniert auch die Anlieferung der verschiedenen Komponenten.

Schaulustige verfolgen das komplizierte Manöver

Jedes Mal, wenn der SMPT durchs Dorf fährt, finden sich Schaulustige ein. Rund 20 sind es an diesem Morgen, die das Schauspiel verfolgen und fleißig mit ihren Handys filmen. Protest gebe es keinen, berichtet Norbert Herborn von der Windpark Springen GmbH. Bis auf einen Anwohner, der schon mehrfach versucht hat, die Transporte durch geparkte Autos zu behindern. An diesem Morgen hat er sich eine andere Taktik ausgedacht: Er legt sich auf den Boden; in einer Kurve, die das Fahrzeug passieren muss. Erst ein Einsatz der Polizei mit Pfefferspray kann den aggressiven Mann und seine beiden Unterstützer zum Rückzug bewegen.

Der guten Laune von Maik Reiners tut das keinen Abbruch. Routiniert manövriert er das schwere Gefährt rückwärts in den schmalen Wirtschaftsweg. Sein Kollege hat derweil ein wachsames Auge auf Hausdächer, Stromleitungen und Bäume. Außerhalb des Dorfes geht es dann zügiger vorwärts – kurz vor der Baustelle muss der Flügel erneut umgeladen werden.

Währenddessen wird auf der Baustelle auf dem gegenüberliegenden Hügel ein Maschinenhaus zusammengeschraubt. Das kreisrunde Gehäuse hat einen Durchmesser von etwa sechs Metern; es bildet die Verbindung von Turm und Rotor. Zwei Dutzend Container voll mit Material sind dafür angeliefert worden, drei Tage beansprucht die Montage. Norbert Herborn hofft, dass sich mindestens eine der Anlagen bis Ende März dreht. Wenigstens für eine halbe Stunde – wegen der Einspeisevergütung.

Quelle dieses Artikels klick hier : Wiesbadener Tagblatt