Drei Monate vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase ist noch immer unklar, nach welchen Regeln britische Unternehmen künftig in die EU liefern können. Die britische Regierung befürchtet Megastaus - und will die Grafschaft Kent für Exporteure zum EU-Vorhof machen.
Pläne der britischen Regierung für das wahrscheinliche Scheitern eines Handelsabkommens mit der EU sorgen bei vielen Briten für Kritik und Kopfschütteln. Der für die No-Deal-Planung zuständige Staatsminister Michael Gove bestätigte am Mittwoch im Parlament ein Worst-Case-Szenario mit Warteschlangen von Tausenden Lkw, die bis zu zwei Tage vor dem Hafen von Dover und dem Eurotunnel warten müssen.
Vor diesem Hintergrund bestätigte Gove auch das Vorhaben seiner Regierung, schon in der englischen Grafschaft Kent de facto die Regeln der EU auf britische Exporte anzuwenden. So brauchen Lkw auf dem Weg in die EU ab 1. Januar 2021 eine neuartige Zugangsberechtigung für die Grafschaft Kent. Das soll einen Lastwagen-Stau im Südosten des Landes vermeiden. Kommentatoren schreiben deshalb in den sozialen Medien von einem "Kentxit", einer faktischen Abspaltung des Wirtschaftsraums Kent vom Rest Großbritanniens.
Keine Einigung in Sicht
Während die britische Regierung um Premier Boris Johnson weiter ihren Brexit-Kurs grundsätzlich verteidigt, räumt sie nun indirekt selbst die Möglichkeit wirtschaftlicher Verwerfungen ein. Die Brexiteers hatten in den vergangenen Jahren stets die Chancen des Brexits betont und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft kleingeredet. Am Mittwoch wurde ein Brief von Gove an die britischen Handelsverbände bekannt, in dem die Regierung eine mangelhafte Vorbereitung vieler Unternehmen auf das Ende des gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit der EU beklagte. Dieser Wirtschaftsraum ist Teil der bis Ende des Jahres gültigen Brexit-Übergangsphase.
Ein rechtzeitiges Nachfolgeabkommen ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Die Gräben zwischen EU und London sind tiefer denn je, seit die Johnson-Regierung einen zentralen Passus des Brexit-Vertrags per Gesetz aushebeln will, um auf den letzten Metern doch noch Zollkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien und damit eine faktische Grenze innerhalb des Königreichs zu vermeiden. Diese Regelung hatte die EU im Brexit-Vertrag durchgesetzt, damit das britische Nordirland und der EU-Staat Irland weiterhin einen Wirtschaftsraum bilden können und der Nordirlandkonflikt nicht neu entfacht wird.
Selbst wenn es Johnson mit dem umstrittenen, international kritisierten Gesetz gelingen sollte, diese innerbritische Grenze zu vermeiden, muss sich das Land dafür auf mindestens eine andere einstellen: die für Lkw über 7,5 Tonnen gültige Grenze zum englischen County Kent.
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