"Biden macht es nur geschickter als Trump"
Die USA wollen zu alter Stärke finden, deshalb ist Joe Biden nach Europa gereist: Der US-Präsident braucht die Verbündeten. Die sollten sich aber hüten, sagt der Experte Stefan Baron.
Von Donald Trump gab es viel Schelte für die Europäer, sein Nachfolger Joe Biden wird bei seinem Besuch sanftere Töne anschlagen. Einen regelrechten Gipfelmarathon absolviert der US-Präsident in den nächsten Tagen: G7, Nato, EU, USA-Russland-Gipfel. Die europäischen Verbündeten will Biden wieder enger an Amerika binden.
Aber wäre das überhaupt gut für Deutschland und die EU? Nein, sagt der Publizist und China-Experte Stefan Baron. Stattdessen solle sich Europa nicht mehr in Amerikas Händel ziehen lassen, sondern sich endlich emanzipieren. Warum China dabei eine besondere Rolle zukommt, die USA eigentlich keine wahre Demokratie mehr seien und sich auch Russland vom Westen bedroht sieht, erklärt Baron im t-online-Gespräch:
t-online: Herr Baron, Joe Bidens erste Auslandsreise als US-Präsident führt ihn nicht ins aufstrebende China, sondern nach Europa. Welchen weltpolitischen Einfluss hat Europa heute noch?
Stefan Baron: Weltpolitisch ist Europa derzeit umworben wie nie. China will den Schwerpunkt der Weltwirtschaft und Weltpolitik vom Atlantik nach Eurasien zurückverlagern, wo er nahezu die gesamte Geschichte über lag. Das geht schon definitionsgemäß nicht ohne Europa. Und die USA brauchen uns im Abwehrkampf gegen das aufstrebende China, um ihre globale Hegemoniestellung verteidigen zu können. Für Europa bietet dies eine einmalige Chance, weltpolitisch wieder eine zentrale Rolle zu spielen. Dafür muss es sich aber von den USA emanzipieren.
Aber jahrzehntelang ging es uns Europäern unter dem Schutzschirm der USA doch sehr gut.
Emanzipation heißt ja nicht, mit den USA nicht länger zusammenarbeiten zu wollen oder gar zu Gegnern zu werden. Es bedeutet, sich künftig auf Augenhöhe zu begegnen und konsequent die eigenen Interessen zu verfolgen, gegenüber Amerika genauso wie gegenüber China. Europa darf sich von Washington nicht in dessen Machtkonflikt mit China als Hilfssheriff einspannen lassen.
Genau darauf zielt Joe Bidens Europareise ja aber ab, er will die EU auf seine Seite ziehen und gegen China und Russland in Stellung bringen. Wird ihm das gelingen?
Im Großen und Ganzen steht das leider zu befürchten. Europa und speziell Deutschland haben sich in den vergangenen sieben Jahrzehnten in dem "luxuriösen Protektorat" – wie Egon Bahr, der Architekt der deutschen Ostpolitik, gegenüber der einstigen Sowjetunion, den Zustand einmal nannte – bequem eingerichtet. Darüber will es offenbar nicht wahrhaben, dass seine Interessen und die Amerikas längst nicht mehr so übereinstimmen, wie das früher einmal der Fall war. Nach dem berühmten Diktum des britischen Staatsmanns Palmerston gibt es aber weder ewige Verbündete noch immerwährende Feinde, ewig und immerwährend sind allein die Interessen. Dementsprechend muss Europa handeln. So wie es die USA ja auch tun.
Schon Bidens Vorgänger Donald Trump hat deshalb die EU-Staaten unter Druck gesetzt, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen. Besonders Deutschland bekam dies zu spüren. Wird Biden sanftere Töne anschlagen?
Bei Trump hieß es: "America first!", Biden spricht jetzt von "America is back!" Das hört sich zwar freundlicher an, ändert aber nichts am Kern: Washingtons Hegemonialpolitik. Biden macht es nur geschickter als Trump: Er umgarnt die Verbündeten in Europa, statt sie vor den Kopf zu stoßen – und wird damit am Ende sicher mehr erreichen.
Aber es gibt doch deutliche inhaltliche Unterschiede zwischen der Außenpolitik der beiden Präsidenten: Während Trump seine berühmt-berüchtigten "Deals" anstrebte, macht Biden die Menschenrechte zu einem zentralen Thema. Das kommt doch den europäischen Interessen entgegen.
Die Menschenrechte spielen in Bidens Außenpolitik tatsächlich eine größere Rolle als bei Trump. Aber sie dienen ihm vor allem als Instrument, um China, Russland und andere Länder zu diskreditieren und so zu schwächen. Sie kaschieren eine im Grunde unveränderte knallharte Interessenpolitik. Das zeigt sich allein schon daran, dass die Menschenrechte den USA keineswegs in allen Ländern gleich wichtig sind.
Weil sie mit autoritären Regimen kooperieren?
Zum Beispiel. Denken Sie etwa daran, wie nachsichtig sie mit Saudi-Arabien umgehen. Oder Vietnam und gegenwärtig Kambodscha umwerben, um sie gegen China einzunehmen. Die Beispiele sind Legion. Auch unter Biden stehen die sogenannten westlichen Werte, die Europa und Amerika verbinden, oft nur auf dem Papier.
Welche Rolle spielt dabei die gesellschaftliche Spaltung in den USA?
Diese Spaltung ist ein weiterer Beleg dafür. Eigentlich sind die USA gar keine Demokratie mehr.
Was denn dann?
Eine Oligarchie, mehr noch: eine Plutokratie. Präsident werden, in eine politische Führungsposition kommen, kann man dort zum Beispiel nur noch mit der finanziellen Unterstützung superreicher Sponsoren, der Wall Street, aus dem Silicon Valley oder den großen Rüstungsunternehmen. Entsprechend ist deren Einfluss auf die politische Agenda.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Machtpolitik der USA mittlerweile eine Gefahr für Frieden und Wohlstand in der Welt sei. Wie sollte Europa damit umgehen?
Europa muss die USA dazu bringen, von ihrer militanten Politik abzulassen, die Macht in der Welt zu teilen, die derzeit unipolare in eine multipolare Weltordnung zu überführen, kurz: Demokratie auf der internationalen Ebene zuzulassen. Wenn überhaupt jemand, vermag nur Europa, Amerikas wichtigster Verbündeter, das zu erreichen. Aber dafür muss es sich von den USA emanzipieren. Tun wir das nicht tun, werden wir in einen gefährlichen Konflikt zwischen Amerika und China hineingezogen.
Nun übertreiben Sie aber!
Ganz und gar nicht. In Deutschland ist man sich dieser Gefahr offenbar nur nicht bewusst oder ignoriert sie. Die Konfrontation Amerikas gegen China führt zum einen zur Deglobalisierung und bedroht damit den Wohlstand, gerade bei uns in Deutschland. Wir leben vom Export. Mehr noch: Sie bedroht auch den Frieden in der Welt inklusive Europa. Ein neuer Kalter Krieg, diesmal zwischen Amerika und China, hat bereits begonnen, ein Schießkrieg ist keineswegs undenkbar. So wird etwa die Lage um Taiwan immer brisanter. Falls die Insel sich von China formell für unabhängig erklären würde, müsste die Volksrepublik militärisch einschreiten. Die Regierung in Peking ist dazu gesetzlich verpflichtet. Amerika würde dann wohl auf Seiten Taiwans eingreifen. Ein solcher Konflikt hätte ein dramatisches Eskalationspotential und würde die gesamte Welt schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Stefan Baron, Jahrgang 1948, ist Publizist und Berater. Der diplomierte Volkswirt arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Entwicklungsländer-Abteilung am Kieler Institut für Weltwirtschaft, war danach unter anderem Redakteur und Korrespondent beim "Spiegel", 16 Jahre lang Chefredakteur der "Wirtschaftswoche" und später globaler Kommunikationschef der Deutschen Bank. Zusammen mit seiner Frau Guangyan Yin-Baron hat er den Bestseller "Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht" veröffentlicht. Soeben erschien Barons neues Buch "Ami go home! Eine Neuvermessung der Welt".
Die USA wollen zu alter Stärke finden, deshalb ist Joe Biden nach Europa gereist: Der US-Präsident braucht die Verbündeten. Die sollten sich aber hüten, sagt der Experte Stefan Baron.
Von Donald Trump gab es viel Schelte für die Europäer, sein Nachfolger Joe Biden wird bei seinem Besuch sanftere Töne anschlagen. Einen regelrechten Gipfelmarathon absolviert der US-Präsident in den nächsten Tagen: G7, Nato, EU, USA-Russland-Gipfel. Die europäischen Verbündeten will Biden wieder enger an Amerika binden.
Aber wäre das überhaupt gut für Deutschland und die EU? Nein, sagt der Publizist und China-Experte Stefan Baron. Stattdessen solle sich Europa nicht mehr in Amerikas Händel ziehen lassen, sondern sich endlich emanzipieren. Warum China dabei eine besondere Rolle zukommt, die USA eigentlich keine wahre Demokratie mehr seien und sich auch Russland vom Westen bedroht sieht, erklärt Baron im t-online-Gespräch:
t-online: Herr Baron, Joe Bidens erste Auslandsreise als US-Präsident führt ihn nicht ins aufstrebende China, sondern nach Europa. Welchen weltpolitischen Einfluss hat Europa heute noch?
Stefan Baron: Weltpolitisch ist Europa derzeit umworben wie nie. China will den Schwerpunkt der Weltwirtschaft und Weltpolitik vom Atlantik nach Eurasien zurückverlagern, wo er nahezu die gesamte Geschichte über lag. Das geht schon definitionsgemäß nicht ohne Europa. Und die USA brauchen uns im Abwehrkampf gegen das aufstrebende China, um ihre globale Hegemoniestellung verteidigen zu können. Für Europa bietet dies eine einmalige Chance, weltpolitisch wieder eine zentrale Rolle zu spielen. Dafür muss es sich aber von den USA emanzipieren.
Aber jahrzehntelang ging es uns Europäern unter dem Schutzschirm der USA doch sehr gut.
Emanzipation heißt ja nicht, mit den USA nicht länger zusammenarbeiten zu wollen oder gar zu Gegnern zu werden. Es bedeutet, sich künftig auf Augenhöhe zu begegnen und konsequent die eigenen Interessen zu verfolgen, gegenüber Amerika genauso wie gegenüber China. Europa darf sich von Washington nicht in dessen Machtkonflikt mit China als Hilfssheriff einspannen lassen.
Genau darauf zielt Joe Bidens Europareise ja aber ab, er will die EU auf seine Seite ziehen und gegen China und Russland in Stellung bringen. Wird ihm das gelingen?
Im Großen und Ganzen steht das leider zu befürchten. Europa und speziell Deutschland haben sich in den vergangenen sieben Jahrzehnten in dem "luxuriösen Protektorat" – wie Egon Bahr, der Architekt der deutschen Ostpolitik, gegenüber der einstigen Sowjetunion, den Zustand einmal nannte – bequem eingerichtet. Darüber will es offenbar nicht wahrhaben, dass seine Interessen und die Amerikas längst nicht mehr so übereinstimmen, wie das früher einmal der Fall war. Nach dem berühmten Diktum des britischen Staatsmanns Palmerston gibt es aber weder ewige Verbündete noch immerwährende Feinde, ewig und immerwährend sind allein die Interessen. Dementsprechend muss Europa handeln. So wie es die USA ja auch tun.
Schon Bidens Vorgänger Donald Trump hat deshalb die EU-Staaten unter Druck gesetzt, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen. Besonders Deutschland bekam dies zu spüren. Wird Biden sanftere Töne anschlagen?
Bei Trump hieß es: "America first!", Biden spricht jetzt von "America is back!" Das hört sich zwar freundlicher an, ändert aber nichts am Kern: Washingtons Hegemonialpolitik. Biden macht es nur geschickter als Trump: Er umgarnt die Verbündeten in Europa, statt sie vor den Kopf zu stoßen – und wird damit am Ende sicher mehr erreichen.
Aber es gibt doch deutliche inhaltliche Unterschiede zwischen der Außenpolitik der beiden Präsidenten: Während Trump seine berühmt-berüchtigten "Deals" anstrebte, macht Biden die Menschenrechte zu einem zentralen Thema. Das kommt doch den europäischen Interessen entgegen.
Die Menschenrechte spielen in Bidens Außenpolitik tatsächlich eine größere Rolle als bei Trump. Aber sie dienen ihm vor allem als Instrument, um China, Russland und andere Länder zu diskreditieren und so zu schwächen. Sie kaschieren eine im Grunde unveränderte knallharte Interessenpolitik. Das zeigt sich allein schon daran, dass die Menschenrechte den USA keineswegs in allen Ländern gleich wichtig sind.
Weil sie mit autoritären Regimen kooperieren?
Zum Beispiel. Denken Sie etwa daran, wie nachsichtig sie mit Saudi-Arabien umgehen. Oder Vietnam und gegenwärtig Kambodscha umwerben, um sie gegen China einzunehmen. Die Beispiele sind Legion. Auch unter Biden stehen die sogenannten westlichen Werte, die Europa und Amerika verbinden, oft nur auf dem Papier.
Welche Rolle spielt dabei die gesellschaftliche Spaltung in den USA?
Diese Spaltung ist ein weiterer Beleg dafür. Eigentlich sind die USA gar keine Demokratie mehr.
Was denn dann?
Eine Oligarchie, mehr noch: eine Plutokratie. Präsident werden, in eine politische Führungsposition kommen, kann man dort zum Beispiel nur noch mit der finanziellen Unterstützung superreicher Sponsoren, der Wall Street, aus dem Silicon Valley oder den großen Rüstungsunternehmen. Entsprechend ist deren Einfluss auf die politische Agenda.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Machtpolitik der USA mittlerweile eine Gefahr für Frieden und Wohlstand in der Welt sei. Wie sollte Europa damit umgehen?
Europa muss die USA dazu bringen, von ihrer militanten Politik abzulassen, die Macht in der Welt zu teilen, die derzeit unipolare in eine multipolare Weltordnung zu überführen, kurz: Demokratie auf der internationalen Ebene zuzulassen. Wenn überhaupt jemand, vermag nur Europa, Amerikas wichtigster Verbündeter, das zu erreichen. Aber dafür muss es sich von den USA emanzipieren. Tun wir das nicht tun, werden wir in einen gefährlichen Konflikt zwischen Amerika und China hineingezogen.
Nun übertreiben Sie aber!
Ganz und gar nicht. In Deutschland ist man sich dieser Gefahr offenbar nur nicht bewusst oder ignoriert sie. Die Konfrontation Amerikas gegen China führt zum einen zur Deglobalisierung und bedroht damit den Wohlstand, gerade bei uns in Deutschland. Wir leben vom Export. Mehr noch: Sie bedroht auch den Frieden in der Welt inklusive Europa. Ein neuer Kalter Krieg, diesmal zwischen Amerika und China, hat bereits begonnen, ein Schießkrieg ist keineswegs undenkbar. So wird etwa die Lage um Taiwan immer brisanter. Falls die Insel sich von China formell für unabhängig erklären würde, müsste die Volksrepublik militärisch einschreiten. Die Regierung in Peking ist dazu gesetzlich verpflichtet. Amerika würde dann wohl auf Seiten Taiwans eingreifen. Ein solcher Konflikt hätte ein dramatisches Eskalationspotential und würde die gesamte Welt schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Stefan Baron, Jahrgang 1948, ist Publizist und Berater. Der diplomierte Volkswirt arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Entwicklungsländer-Abteilung am Kieler Institut für Weltwirtschaft, war danach unter anderem Redakteur und Korrespondent beim "Spiegel", 16 Jahre lang Chefredakteur der "Wirtschaftswoche" und später globaler Kommunikationschef der Deutschen Bank. Zusammen mit seiner Frau Guangyan Yin-Baron hat er den Bestseller "Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht" veröffentlicht. Soeben erschien Barons neues Buch "Ami go home! Eine Neuvermessung der Welt".
Wobei ich Russland zu Europa zurechnen würde, wenn nicht diese verbohrten "Atlantiker" wozu ich auch große Teile der Grünen zähle, nicht ständig den "Feind" am falschen Ort suchen würden.
Europa mit Russland wäre genau das richtige Gefüge im Machtspiel der zwei großen ökonomischen und politischen Großmächte.
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