Knapp zwei Wochen bleiben noch bis zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg,
und so wie es aussieht, wird die AfD große Triumphe feiern. Schon bevor das Wahlergebnis überhaupt feststeht, bemühen sich Politiker und Publizisten darum, die Entwicklung einzuordnen.
Matthias Platzeck,früher Ministerpräsident Brandenburgs, heute Chef der Kommission 30 Jahre Deutsche Einheit, sieht bei Teilen der Ostdeutschen eine "ungute Grundstimmung". Dazu habe eine Reihe von Krisenerfahrungen beigetragen: "Zusammenbruch nach 1990, Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015, alles in einer Generation", sagt er. "Bei nicht wenigen Menschen hat sich das Gefühl ausgebildet, der Staat, von dem sie das eigentlich erwarten, habe nicht mehr alles im Griff und schütze sie nicht mehr hinreichend."
Pauschalisierung ist Unsinn, keine Frage.
Pauschalisierung ist Unsinn, keine Frage.
Aber beim Namen sollte man die Probleme schon nennen. Warum ist die gesellschaftliche Stimmung in Teilen Ostdeutschlands so aufgeheizt, warum sind so viele Menschen enttäuscht von den etablierten Parteien, warum unterstützen so viele die AfD? Das habe ich Petra Köpping gefragt, sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Die SPD-Politikerin kandidiert für den Parteivorsitz und hat eine Streitschrift verfasst: "Integriert doch erst mal uns!" In unbewältigten Demütigungen, Kränkungen und Ungerechtigkeiten, aber auch in Lebensbrüchen und Entwurzelungen sieht sie eine wesentliche Ursache für die Verbitterung vieler Menschen im Osten. Sie schreibt über rücksichtslose Treuhand-Entscheidungen, die Geringschätzung von Berufsabschlüssen und den Verlust von Betriebsrenten, aber auch über die Abwanderung einer ganzen Generation in den Westen – sowie den verächtlichen Generalverdacht, dass die Leute im Osten politisch rückständig seien. Hatten ja in einer Diktatur gelebt.
Mir leuchten diese Erklärungen ein, zumal sie mir auch in Gesprächen mit Bürgern in Sachsen, wo ich Anfang der Neunzigerjahre gelebt habe, gespiegelt werden. Alle diese Gründe sind irgendwie verständlich – aber führen sie wirklich dazu, dass so viele Menschen heute einer Partei zuneigen, in der Rechtsextremisten immer unverfrorener den Ton angeben? Petra Köpping hat meine Frage beantwortet, indem sie an die Demonstrationen, Ausschreitungen und öffentlichen Debatten nach einem Mord in Chemnitz erinnerte:
"Die Ereignisse in Chemnitz sind jetzt ein Jahr her. Die Menschen ärgern sich darüber, dass die Sachsen in der Öffentlichkeit immerzu als rechts dargestellt werden. In vielen Medien wird nicht differenziert berichtet, sondern pauschalisiert. Das ärgert die Leute. Und es hat zur Folge, dass es unter vielen Menschen eine zunehmende Solidarisierung gibt, dass sie sagen: Okay, wenn ich als rechts oder als Nazi bezeichnet werde, dann bin ich eben so! Das höre ich immer wieder auf der Straße im Wahlkampf – auch von Menschen, die sich früher gar nicht politisch eingebracht haben. Viele Medien berichten zu selten über die positive Arbeit in Sachsen, dabei gibt es die. Die Mehrheit der Menschen setzt sich für demokratische Prozesse ein, manchmal unter schwierigeren Bedingungen als in anderen Bundesländern."
Ist die Unterstützung für die AfD also nur ein Protestventil? Drei Themen gebe es, die den Wahlkampf in Sachsen bestimmten, sagt Petra Köpping – erstens die Migrationspolitik, zweitens Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland, drittens die Sicherheitslage:
"Zwar ist die Kriminalitätsrate insgesamt gesunken, aber das ist ja nur die halbe Wahrheit, denn an öffentlichen Brennpunkten hat sie zugenommen. Diese differenzierte Betrachtung vermissen viele Menschen. Selbst wenn in Ostdeutschland weniger Migranten leben und es deshalb auch weniger Kriminalität von ihnen gibt: Entwicklungen wie die Gewalt- oder die Clankriminalität anderswo in der Republik werden natürlich auch in Sachsen sehr genau beobachtet."
Nun muss man der Bundesregierung zugutehalten, dass sie diese Herausforderungen inzwischen ernster nimmt und entschlossener handelt als früher. Bundesinnenminister Seehofer treibt schärfere Gesetze voran, die Sicherheitsbehörden werden verstärkt und beginnen härter durchzugreifen. "Die Fallzahlen der Kriminalität insgesamt gehen zurück. In einigen Bereichen, wie dem Wohnungseinbruch, der traditionell große Angst auslöst, haben wir sogar einen deutlichen Rückgang", sagte BKA-Chef Holger Münch vergangene Woche im t-online.de-Interview – räumte aber ein: "Bei der Gewaltkriminalität verhält es sich ein bisschen anders: Hier haben wir eine Stagnation der Fallzahlen und sehen, dass eine kleine Gruppe von Zugewanderten aus bestimmten Herkunftsländern signifikant auffälliger ist. Wir müssen diese Entwicklung nicht nur zur Kenntnis, sondern sehr ernst nehmen und daraus Konsequenzen ziehen."
Bekommt die Polizei dieses Problem in den Griff, bemühen sich mehr Medien um eine differenzierte Berichterstattung und berücksichtigt die Bundespolitik öfter die spezifischen Herausforderungen in den neuen Bundesländern, dann könnte sich die Stimmung dort vielleicht ein bisschen verbessern. Knapp zwei Wochen werden dafür aber nicht reichen.
Quelle
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Sehr gut geschriebener Artikel, der es meiner Meinung nach auf den Punkt bringt.
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