»Revolution« in den Logistik-Zentren
Mohamed Arafat, ein seit zehn Jahren in Italien lebender Immigrant aus Ägypten, hat den Kampf der ausländischen und italienischen ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung im Warenverteilzentrum Piacenza organisiert. Und er hat gewonnen. »200 Euro im Monat für acht Stunden Arbeit am Tag. Solche Sklavenzustände hatten wir vor sechs Jahren. Dann haben wir angefangen zu kämpfen. Daran haben sich in den letzten Monaten auch die entlassenen und dann wieder eingestellten IKEA-ArbeiterInnen beteiligt.«
Man könnte Mohamed Arafat, der seit sechs Jahren bei TNT arbeitet und eine wichtige Bezugsperson im Warenverteilzentrum Piacenza ist, als Kampfavantgarde bezeichnen. Ein Jahr zuvor war er nach seinem Studienabschluss in Sozialarbeit aus Ägypten nach Italien gekommen, hatte in einer Orangenfabrik in Sizilien gearbeitet und war von dort nach Piacenza gekommen. Er ist nicht ausgewandert, um dem Elend zu entfliehen: «Mein Vater ist Ingenieur und meine Mutter Lehrerin. Als ich mit der Uni fertig war, wollte ich mein eigenes Leben beginnen und andere Menschen und andere Sprachen kennenlernen: Ich dachte, hier wäre das Paradies. Aber nach ein paar Monaten war ich kurz davor, nach Ägypten zurückzugehen. In Süditalien habe ich brutale Ausbeutung und Hunger kennengelernt, da macht der Chef, was er will. Und im Norden ist es nicht anders – siehe TNT: Du kommst, um acht Stunden zu arbeiten, und nach zwei Stunden schicken sie dich nach Hause; am Ende hast du einen Lohn von 200 bis 300 Euro. Das ist nicht das Europa, das wir erwartet hatten, als wir auf eigenes Risiko unser Land verließen.«
Im Sommer 2011 begannen die Kämpfe bei TNT. «Als erstes mussten wir Einigkeit unter allen Arbeitern im Betrieb herstellen und geschlossen die Angst besiegen, mit niedrigen Löhnen erpresst zu werden oder rauszufliegen. Unter diesem ständigen Druck sind viele Arbeiter krank geworden. Um das Kommando über uns zu behalten, haben sie uns gegeneinander ausgespielt, Italiener gegen Ausländer (90 Prozent der Belegschaft), Ägypter gegen Marokkaner: 'Wenn du brav bist, bezahl ich dir mehr, misch dich nicht ein, der da ist ein Spitzel, usw.'. Das Misstrauen, das der Chef über die Jahre aufgebaut hatte, haben wir in wenigen Monaten des Kampfs überwunden. Ein Marokkaner hat mir gesagt: 'Ich hätte nie gedacht, dass ich einem Ägypter trauen würde.' Und ein anderer: 'Mir geht es nicht nur um die erkämpften Rechte, sondern das Wichtigste ist, dass ich mich jetzt mit euch an einen Tisch setze und wir alles teilen.' Jetzt wissen wir: Wenn die Arbeiter gespalten sind, hat der Chef das Kommando. In diesem Kampf ist eine Familie entstanden: Wenn sie einem etwas antun, dann tun sie das allen an. Langsam ist auch der Italiener ein Immigrant geworden, auch die Italiener verdienen inzwischen das gleiche, aber im Kampf sind die Spaltungen aufgehoben worden. Wir haben es geschafft, uns zu vereinigen: gegen den Chef, für einen würdigen Lohn und für ein besseres Leben für alle.»
Wie waren die Arbeitsbedingungen vor Beginn des Kampfs?
Jeder einzelne stand unter Druck, immer schneller zu arbeiten. Es gab einen Abteilungsleiter, der Tag und Nacht rief: 'Los, los, los', das war wie eine verwunschene CD! 200 Leute mussten die Arbeit von 500 machen, so haben sie die Kosten für 300 Leute gespart. TNT hat fünf Jahre lang die höchste Produktivität in Italien erreicht, aber nie hat sich jemand die Arbeitsbedingungen angesehen. Die Chefs haben Riesenprofite gemacht, aber die Arbeiter wurden nur schlecht behandelt und wurden krank. Das sind Sklavenhaltermethoden. Als ich mal einen aufforderte, Nein zu sagen, meinte er, das könne er nicht, sonst würden sie ihn rausschmeißen.
Bei TNT wie bei anderen Logistikfirmen übt ein Konsortium von Kooperativen die Kontrolle über die Arbeit aus ...
Zuerst waren es vier, jetzt sind es noch zwei. Das System der Kooperativen ist ein großes Problem: Alle zwei Jahre ändern sie ihren Namen. Auf diese Weise zahlen sie keine Abgaben und betrügen die Arbeiter. Seit 10 bis 15 Jahren ist das Konsortium bei TNT immer dasselbe, aber unter unterschiedlichen Decknamen, 80-jährige Strohmänner, die juristisch nicht verfolgt werden können, fungieren als Eigentümer. Außerdem sind unsere Arbeitsplätze in Gefahr, wenn die Kooperative wechselt. Wir wollen v. a. das System der Kooperativen abschaffen. Es ist besser, direkt mit der Firma zu tun zu haben.
Wie habt Ihr konkret angefangen, Euch zu organisieren?
Es begann damit, dass 20 von insgesamt 380 Arbeitern sich als Gruppe zusammenschlossen. Wir gingen von Haus zu Haus und erklärten, wie der Vertrag funktioniert, wie sie uns ausgebeutet und über Jahre hinweg betrogen haben; und wir sagten, dass wir diese Behandlung, bei der unsere Würde mit Füßen getreten wird, nicht länger akzeptieren dürfen. Ich habe anfangen, die Arbeiter zu schulen, ich habe jedem eine Aufgabe gegeben, um die Gruppe zu vergrößern. Schichtleiter haben mich angerufen und gesagt, sie wüssten Bescheid über die Treffen bei mir zu Hause. Da habe ich mir gesagt, warum laufe ich nicht offen in der ganzen Stadt herum, um alle zu überzeugen. Ich habe 50 bis 60 Leute zu Hause besucht, und in den Tagen danach war das bei TNT wie eine Lawine. So viele sind zu mir gekommen, um mir zu sagen, dass sie auch unter der Ausbeutung leiden und sich am Kampf beteiligen wollen. Damit die Organisation wächst, muss man ab und zu eine »Lüge« erzählen, um Mut zu machen: Als wir zwanzig waren, habe ich gesagt, dass die anderen, auch wenn sie nicht mitmachen, auf unserer Seite sind, dass wir hundert sind. Und zwei oder drei Tage später waren wir wirklich hundert!
Es war keine Lüge, nennen wir es eine Vorwegnahme...
Wir haben es tatsächlich geschafft, auch wenn ich das nicht gedacht hätte. Man muss an das, was man macht, glauben und ehrlich sein, keine persönlichen Interessen dabei verfolgen.
Um streiken zu können, habt Ihr Euch auf die Suche nach einer Gewerkschaft gemacht...
Wir wussten nicht einmal, was eine Gewerkschaft genau ist: Wir hatten uns bisher nur an sie gewandt, um die Erneuerung unserer Aufenthaltserlaubnis oder Familienzusammenführungen zu regeln oder um ein Formular auszufüllen, sie war für uns eine Dienstleistungsagentur. Wir haben uns nie an sie gewandt, um Rechte einzufordern, denn wenn jemand sich beklagt, sagen sie: »Halt den Mund und arbeite«, sie haben den Kampf vergessen. Also haben wir uns auf die Suche nach einer Gewerkschaft gemacht, die bereit ist, uns beim Kämpfen zu unterstützen, also beim Kämpfen, wie wir es verstehen: streiken und Streikposten aufstellen, um den Unternehmer zu treffen. Es darf nicht so sein, dass die Gewerkschaft die Arbeiter benutzt; die Arbeiter müssen die Gewerkschaft benutzen. Im Juli 2011 haben wir uns mit Si Cobas [Sindacato Intercategoriale Cobas – Lavoratori autorganizzati] getroffen. Ich habe erklärt, dass wir innerhalb einer Woche eine Torblockade auf die Beine stellen könnten. Sie zeigten ihre Bereitschaft, wir haben angefangen, und wir haben gewonnen.
Mohamed Arafat, ein seit zehn Jahren in Italien lebender Immigrant aus Ägypten, hat den Kampf der ausländischen und italienischen ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung im Warenverteilzentrum Piacenza organisiert. Und er hat gewonnen. »200 Euro im Monat für acht Stunden Arbeit am Tag. Solche Sklavenzustände hatten wir vor sechs Jahren. Dann haben wir angefangen zu kämpfen. Daran haben sich in den letzten Monaten auch die entlassenen und dann wieder eingestellten IKEA-ArbeiterInnen beteiligt.«
Man könnte Mohamed Arafat, der seit sechs Jahren bei TNT arbeitet und eine wichtige Bezugsperson im Warenverteilzentrum Piacenza ist, als Kampfavantgarde bezeichnen. Ein Jahr zuvor war er nach seinem Studienabschluss in Sozialarbeit aus Ägypten nach Italien gekommen, hatte in einer Orangenfabrik in Sizilien gearbeitet und war von dort nach Piacenza gekommen. Er ist nicht ausgewandert, um dem Elend zu entfliehen: «Mein Vater ist Ingenieur und meine Mutter Lehrerin. Als ich mit der Uni fertig war, wollte ich mein eigenes Leben beginnen und andere Menschen und andere Sprachen kennenlernen: Ich dachte, hier wäre das Paradies. Aber nach ein paar Monaten war ich kurz davor, nach Ägypten zurückzugehen. In Süditalien habe ich brutale Ausbeutung und Hunger kennengelernt, da macht der Chef, was er will. Und im Norden ist es nicht anders – siehe TNT: Du kommst, um acht Stunden zu arbeiten, und nach zwei Stunden schicken sie dich nach Hause; am Ende hast du einen Lohn von 200 bis 300 Euro. Das ist nicht das Europa, das wir erwartet hatten, als wir auf eigenes Risiko unser Land verließen.«
Im Sommer 2011 begannen die Kämpfe bei TNT. «Als erstes mussten wir Einigkeit unter allen Arbeitern im Betrieb herstellen und geschlossen die Angst besiegen, mit niedrigen Löhnen erpresst zu werden oder rauszufliegen. Unter diesem ständigen Druck sind viele Arbeiter krank geworden. Um das Kommando über uns zu behalten, haben sie uns gegeneinander ausgespielt, Italiener gegen Ausländer (90 Prozent der Belegschaft), Ägypter gegen Marokkaner: 'Wenn du brav bist, bezahl ich dir mehr, misch dich nicht ein, der da ist ein Spitzel, usw.'. Das Misstrauen, das der Chef über die Jahre aufgebaut hatte, haben wir in wenigen Monaten des Kampfs überwunden. Ein Marokkaner hat mir gesagt: 'Ich hätte nie gedacht, dass ich einem Ägypter trauen würde.' Und ein anderer: 'Mir geht es nicht nur um die erkämpften Rechte, sondern das Wichtigste ist, dass ich mich jetzt mit euch an einen Tisch setze und wir alles teilen.' Jetzt wissen wir: Wenn die Arbeiter gespalten sind, hat der Chef das Kommando. In diesem Kampf ist eine Familie entstanden: Wenn sie einem etwas antun, dann tun sie das allen an. Langsam ist auch der Italiener ein Immigrant geworden, auch die Italiener verdienen inzwischen das gleiche, aber im Kampf sind die Spaltungen aufgehoben worden. Wir haben es geschafft, uns zu vereinigen: gegen den Chef, für einen würdigen Lohn und für ein besseres Leben für alle.»
Wie waren die Arbeitsbedingungen vor Beginn des Kampfs?
Jeder einzelne stand unter Druck, immer schneller zu arbeiten. Es gab einen Abteilungsleiter, der Tag und Nacht rief: 'Los, los, los', das war wie eine verwunschene CD! 200 Leute mussten die Arbeit von 500 machen, so haben sie die Kosten für 300 Leute gespart. TNT hat fünf Jahre lang die höchste Produktivität in Italien erreicht, aber nie hat sich jemand die Arbeitsbedingungen angesehen. Die Chefs haben Riesenprofite gemacht, aber die Arbeiter wurden nur schlecht behandelt und wurden krank. Das sind Sklavenhaltermethoden. Als ich mal einen aufforderte, Nein zu sagen, meinte er, das könne er nicht, sonst würden sie ihn rausschmeißen.
Bei TNT wie bei anderen Logistikfirmen übt ein Konsortium von Kooperativen die Kontrolle über die Arbeit aus ...
Zuerst waren es vier, jetzt sind es noch zwei. Das System der Kooperativen ist ein großes Problem: Alle zwei Jahre ändern sie ihren Namen. Auf diese Weise zahlen sie keine Abgaben und betrügen die Arbeiter. Seit 10 bis 15 Jahren ist das Konsortium bei TNT immer dasselbe, aber unter unterschiedlichen Decknamen, 80-jährige Strohmänner, die juristisch nicht verfolgt werden können, fungieren als Eigentümer. Außerdem sind unsere Arbeitsplätze in Gefahr, wenn die Kooperative wechselt. Wir wollen v. a. das System der Kooperativen abschaffen. Es ist besser, direkt mit der Firma zu tun zu haben.
Wie habt Ihr konkret angefangen, Euch zu organisieren?
Es begann damit, dass 20 von insgesamt 380 Arbeitern sich als Gruppe zusammenschlossen. Wir gingen von Haus zu Haus und erklärten, wie der Vertrag funktioniert, wie sie uns ausgebeutet und über Jahre hinweg betrogen haben; und wir sagten, dass wir diese Behandlung, bei der unsere Würde mit Füßen getreten wird, nicht länger akzeptieren dürfen. Ich habe anfangen, die Arbeiter zu schulen, ich habe jedem eine Aufgabe gegeben, um die Gruppe zu vergrößern. Schichtleiter haben mich angerufen und gesagt, sie wüssten Bescheid über die Treffen bei mir zu Hause. Da habe ich mir gesagt, warum laufe ich nicht offen in der ganzen Stadt herum, um alle zu überzeugen. Ich habe 50 bis 60 Leute zu Hause besucht, und in den Tagen danach war das bei TNT wie eine Lawine. So viele sind zu mir gekommen, um mir zu sagen, dass sie auch unter der Ausbeutung leiden und sich am Kampf beteiligen wollen. Damit die Organisation wächst, muss man ab und zu eine »Lüge« erzählen, um Mut zu machen: Als wir zwanzig waren, habe ich gesagt, dass die anderen, auch wenn sie nicht mitmachen, auf unserer Seite sind, dass wir hundert sind. Und zwei oder drei Tage später waren wir wirklich hundert!
Es war keine Lüge, nennen wir es eine Vorwegnahme...
Wir haben es tatsächlich geschafft, auch wenn ich das nicht gedacht hätte. Man muss an das, was man macht, glauben und ehrlich sein, keine persönlichen Interessen dabei verfolgen.
Um streiken zu können, habt Ihr Euch auf die Suche nach einer Gewerkschaft gemacht...
Wir wussten nicht einmal, was eine Gewerkschaft genau ist: Wir hatten uns bisher nur an sie gewandt, um die Erneuerung unserer Aufenthaltserlaubnis oder Familienzusammenführungen zu regeln oder um ein Formular auszufüllen, sie war für uns eine Dienstleistungsagentur. Wir haben uns nie an sie gewandt, um Rechte einzufordern, denn wenn jemand sich beklagt, sagen sie: »Halt den Mund und arbeite«, sie haben den Kampf vergessen. Also haben wir uns auf die Suche nach einer Gewerkschaft gemacht, die bereit ist, uns beim Kämpfen zu unterstützen, also beim Kämpfen, wie wir es verstehen: streiken und Streikposten aufstellen, um den Unternehmer zu treffen. Es darf nicht so sein, dass die Gewerkschaft die Arbeiter benutzt; die Arbeiter müssen die Gewerkschaft benutzen. Im Juli 2011 haben wir uns mit Si Cobas [Sindacato Intercategoriale Cobas – Lavoratori autorganizzati] getroffen. Ich habe erklärt, dass wir innerhalb einer Woche eine Torblockade auf die Beine stellen könnten. Sie zeigten ihre Bereitschaft, wir haben angefangen, und wir haben gewonnen.
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