Es herrscht Chaos im Nahen Osten:
So oft ist dieser Satz schon geschrieben worden, dass von ihm nicht viel mehr übrig ist als eine Phrase. Was wir allerdings gegenwärtig mit Recht sagen können: Seit der Tötung des iranischen Top-Generals
Soleimani überschlagen sich die Ereignisse. Massendemos im Irak, um die korrupten Cliquen in der Regierung und ihre verhassten iranischen Hintermänner loszuwerden? Waren gestern. Das Atomabkommen mit dem Iran? Passé. Die internationale Koalition gegen den "Islamischen Staat"? Löst sich schneller auf als der Zucker im arabischen Tee.
Das Chaos müssen wir aber trotzdem noch einmal bemühen.
Das Chaos müssen wir aber trotzdem noch einmal bemühen.
Ja, es herrscht im Nahen Osten, aber so richtig tobt es sich derzeit bei den Amerikanern aus. Per Notiz hat gestern der im Irak zuständige Kommandeur das Verteidigungsministerium in Bagdad über den bevorstehenden Abzug der US-Truppen informiert. Vor lauter eiligen Dementis stolpern seine Vorgesetzten jetzt über ihre eigenen Füße. "Missverständlich formuliert" soll das Schreiben gewesen sein, ein "Entwurf" oder doch ein "echter Fehler", in Wahrheit gehe es nur um eine "Truppenverlegung innerhalb des Iraks". Die Dementis passen nicht zusammen, das heillose Durcheinander vermittelt sich hingegen exzellent. Ganz im selben Stil empfiehlt das US-Außenministerium amerikanischen Bürgern in der Region die sofortige Ausreise, nicht ohne hinzuzufügen, dass sie von der Botschaft in Bagdad keinerlei Unterstützung erwarten dürfen und sich dort keinesfalls blicken lassen sollen. Wir wünschen gute Reise. So sieht es aus, das perfekte amerikanische Chaos.
Eine US-Strategie im Nahen Osten ist schon lange nicht mehr erkennbar, was auch am obersten Spontanstrategen im Weißen Haus liegt. Aus Sicherheitskreisen heißt es hinter vorgehaltener Hand, Donald Trumps Entscheidung, Herrn Soleimani zu töten, sei dermaßen aus heiterem Himmel gekommen, dass die US-Geheimdienste erst einmal unter Hochdruck in Erfahrung bringen mussten, wo sich ihre prominente Zielperson überhaupt aufhielt. Der Präsident hatte offenbar vor dem Fernseher gesessen und sich über die Bilder von Attacken auf die US-Botschaft in Bagdad erregt. Also ließ er halt mal eben die härteste verfügbare Strafe exekutieren. Rücksprache? Iwo. Strategie? Ach was.
Ein ganz anderes Bild geben hingegen die Iraner ab: Sie beuten den Tod ihres Kriegshelden (den man korrekter als Schlächter bezeichnen müsste) mit eiskaltem Kalkül zu ihrem Vorteil aus. Mit einem Blutbad ist für den Iran nichts zu gewinnen, was zunächst einmal eine beruhigende Nachricht ist – auch wenn mit gewaltsamen Aktionen der Revolutionsgarden schon aus Gründen der Gesichtswahrung zu rechnen ist. Doch vor allem kann Teheran jetzt die Unterstützung seiner Verbündeten – das Netzwerk zu Politkern, Regierungen, Milizen im gesamten Nahen Osten – so bedingungslos einfordern wie noch nie zuvor.
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Diesen Artikel kann ich voll und ganz unterschreiben.
Die Rache des Toten
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