Die Straßensperrungen in Tirol stehen für ein größeres Problem: Im Alpenraum hält die Infrastruktur die Verkehrslast nicht mehr aus. Vor allem der Güterverkehr kommt nicht durch - Deutschland trägt daran Mitschuld.
Angelika Warmuth/ DPA
In Tirol sind zahlreiche Bundesstraßen entlang der Brennerautobahn für den Umgehungsverkehr gesperrt
In Tirol gelten an Wochenenden jetzt Fahrverbote auf Landstraßen - auf denen umfahren Urlauber sonst oft Staus oder vermeiden die Maut auf den österreichischen Autobahnen. Am vergangenen Wochenende kontrollierten Polizisten erstmals Ausweichstrecken entlang der Brenner- und Inntalautobahn. Sie schickten knapp tausend Autofahrer zurück auf die Autobahn. Einer fuhr einfach an der Kontrolle vorbei. Die Polizei musste ihn stoppen.
Zum Beginn der Ferienzeit eskaliert damit der verkehrspolitische Streit zwischen Österreich und Deutschland. Erst hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Deutschland die geplante Maut nicht erheben darf, weil sie Ausländer diskriminiere. Moniert hatte dies Österreich. Nun geht es um die Frage, wie stark der Pkw- und Lastwagenverkehr zwischen Deutschland und Italien Österreich belastet. Dazu gehört auch eine hitzige Debatte über den Bau einer neuen Bahntrasse im bayerischen Inntal - die die Lage entschärfen könnte.
Die Brennerautobahn ist eine der wichtigsten Straßen für deutsche Urlauber auf dem Weg nach Italien - und chronisch überlastet. Hunderte Kilometer östlich sowie westlich gibt es keine andere Autobahnquerung über die Alpen. Der Brennerpass ist ein Nadelöhr.
Der Verkehr am Brenner nimmt zu
Seit Jahren schwelt der Streit über deutsche Autos, die österreichische Straßen verstopfen. Das Problem sind aber nicht nur Urlauber. Es geht vor allem um den Güterverkehr, der ebenfalls über die Alpen muss - und auch Pkw blockiert.
Der Schwerlastverkehr auf der Brennerroute nimmt stetig zu. 2018 fuhren knapp 2,5 Millionen Lkw an der Zählstelle in Schönberg vorbei, nach rund 2,25 Millionen im Vorjahr. Damit fuhren im vergangenen Jahr dreimal so viele Lkw über den Brenner wie auf allen Schweizer Alpenrouten zusammen. In diesem Jahr waren es bis Mai bereits über eine Million Lkw, laut dem Land Tirol wieder knapp 1,7 Prozent mehr.
Eine Lösung für das Problem ist zwar gefunden: Die Transportströme sollen von der Straße auf die Schiene weichen. Doch damit das funktioniert, muss die Bahnstrecke massiv ausgebaut werden. Dazu kommt ein neuer, 64 Kilometer langer Tunnel unter dem Brenner - der Brennerbasistunnel.
Deutschland trödelt beim Bau der Nord-Süd-Strecke
Doch das Jahrhundertbauwerk steht im Zentrum des deutsch-österreichischen Streits. Bereits 1999 begann die konkrete Planung. Eröffnet werden soll der Tunnel 2028 - dann soll durch ihn ein Großteil des Güterverkehrs zwischen Nord- und Südeuropa fließen. Güterzüge sollen die vielen Lkw ersetzen und die Brennerautobahn entlasten.
Italien und Österreich bauen schon lange an dem voraussichtlich 9,3 Milliarden Euro teuren Tunnel. Die Zulaufstrecke von Innsbruck durchs untere Inntal ist bereits viergleisig ausgebaut. Doch es fehlt noch ein kleines Gleisstück über die deutsch-österreichische Grenze. Und um dessen Verlauf streiten sich Behörden und Anwohner auf deutscher Seite.
Die Anwohner im bayerischen Inntal protestieren, sie wollen nicht noch mehr Verkehr ertragen müssen - auch nicht in Form ratternder Güter- oder Personenzüge. Auch deshalb ist eine leistungsstarke, durchgehende Schienenverbindung zwischen Süddeutschland und Norditalien nicht in Sicht.
Österreich und Deutschland blockieren sich gegenseitig
Während der Baustart in Deutschland in weiter Ferne liegt, erhöht Österreich mit den Fahrverboten den Druck. "Wir schützen damit unsere Bevölkerung und Gäste vor Ort, während Durchreisende ihren Weg auf der dafür vorgesehenen Route fortsetzen können", sagt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. In- und Ausländer müssten sich daran halten. "Wenn Dörfer vom Ausweichverkehr derart verstopft sind, dass nicht einmal mehr für Einsatzkräfte ein Durchkommen ist, dann ist Handeln gefragt."
Der ADAC hat hingegen die Nöte der Reisenden Im Blick. "Wir sehen die Fahrverbote gerade zur Hauptreisezeit ausgesprochen kritisch. Für Touristen bedeuten die Verbote erhebliche Einschränkungen der Reisefreiheit" heißt es beim Automobilclub.
Dabei ist der Tiroler Abschnitt längst nicht der einzige Engpass auf der Nord-Süd-Strecke. Bei Kiefersfelden in Bayern kontrollieren deutsche Behörden Fahrzeuge auf dem Weg nach Deutschland, um Migranten von der Einreise nach Deutschland abzuhalten. Deshalb gibt es auf österreichischer Seite kilometerlange Staus.
Österreich drosselt Lkw-Verkehr - Scheuer schäumt
Auf der anderen Seite drosselt Österreich den Lastwagenverkehr und fertigt die Lkw nur noch in Blöcken an der Grenze ab. Die Tiroler Landesregierung erlaubt nur einer bestimmten Anzahl pro Stunde die Einreise nach Österreich, um die Autobahnen zu entlasten. Staus von bis zu 30 Kilometern Länge auf deutschen Autobahnen sind die Folge.
Diese sogenannte Blockabfertigung ist in den Augen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) inakzeptabel. Sie störe den deutschen Urlaubsverkehr massiv und verstoße gegen EU-Recht. Scheuer forderte die österreichische Bundesregierung auf, diese Praxis zu beenden.
Landeshauptmann Platter warf Scheuer hingegen vor, damit die Interessen der Lastwagenlobby über das Wohl der Anwohner in Österreich zu stellen. Die Bevölkerung dort leide unter der Umweltbelastung. Die EU-Kommission habe mehrfach bestätigt, dass die Blockabfertigungen rechtmäßig seien. Daher sollten die Deutschen nicht die Beleidigten spielen, weil sie gerade bei der Pkw-Maut eine Niederlage einstecken mussten.
"Fahrverbote keine Lösung"
So vermischen sich zwei verschiedene deutsch-österreichische Verkehrsprobleme auf unheilvolle Weise. Berlin und Wien zoffen sich und versuchen bei den jeweiligen Wählern zu punkten, anstatt gemeinsam Lösungen zu suchen.
"Es geht hier nicht um Österreich gegen Deutschland", sagt Günter Emberger, Verkehrsforscher an der TU Wien. "Es geht um unser aller Gesundheit." Der Experte sieht in Fahrverboten und Blockabfertigung nicht die Lösung des Problems. "Das sind kurzfristig notwendige Maßnahmen, um die regionale Bevölkerung zu schützen", sagt Emberger.
Als schnelle Lösung bringt er eine Maut für jeden gefahrenen Kilometer auf allen Straßen in der Region ins Spiel. "Im Falle der Tiroler Fahrverbote müsste die Fahrt auf der Autobahn für Transitreisende dann günstiger sein als auf der Bundes- und Landstraße" sagt Emberger. So ließe sich die Nutzung der verschiedenen Routen über den Brenner steuern - und Touristen hätten wieder freie Fahrt.
ADAC rechnet mit noch mehr Stau
Dass sie dafür wohl stärker zur Kasse gebeten würden, sei zu verschmerzen. Die Verkehrsprobleme müssten ohnehin viel umfassender angegangen werden. "Wir müssen in Europa einen neuen Zugang zur Mobilität bekommen, der ökologisch vertretbar ist."
Statt Fahrverbote zu verhängen, müsse man Autofahren längerfristig verteuern, damit die Verursacher von Umweltschäden diese bezahlen. "Es geht nicht darum, den Autofahrer zur Melkkuh der Nation zu machen, sondern darum, die Menschen zum Umdenken zu bewegen", sagt Emberger. "Es kann nicht sein, dass sich jede Familie am verlängerten Wochenende ins Auto setzt und 1000 Kilometer irgendwohin und wieder zurück fährt."
In diesem Jahr ist von einem Umdenken wohl noch nichts zu spüren. Der ADAC rechnet an den kommenden Wochenenden entlang der Inntalautobahn A12 sowie der Brennerautobahn A13 mit einem noch einmal höheren Verkehrsaufkommen.
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Angelika Warmuth/ DPA
In Tirol sind zahlreiche Bundesstraßen entlang der Brennerautobahn für den Umgehungsverkehr gesperrt
In Tirol gelten an Wochenenden jetzt Fahrverbote auf Landstraßen - auf denen umfahren Urlauber sonst oft Staus oder vermeiden die Maut auf den österreichischen Autobahnen. Am vergangenen Wochenende kontrollierten Polizisten erstmals Ausweichstrecken entlang der Brenner- und Inntalautobahn. Sie schickten knapp tausend Autofahrer zurück auf die Autobahn. Einer fuhr einfach an der Kontrolle vorbei. Die Polizei musste ihn stoppen.
Zum Beginn der Ferienzeit eskaliert damit der verkehrspolitische Streit zwischen Österreich und Deutschland. Erst hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Deutschland die geplante Maut nicht erheben darf, weil sie Ausländer diskriminiere. Moniert hatte dies Österreich. Nun geht es um die Frage, wie stark der Pkw- und Lastwagenverkehr zwischen Deutschland und Italien Österreich belastet. Dazu gehört auch eine hitzige Debatte über den Bau einer neuen Bahntrasse im bayerischen Inntal - die die Lage entschärfen könnte.
Die Brennerautobahn ist eine der wichtigsten Straßen für deutsche Urlauber auf dem Weg nach Italien - und chronisch überlastet. Hunderte Kilometer östlich sowie westlich gibt es keine andere Autobahnquerung über die Alpen. Der Brennerpass ist ein Nadelöhr.
Der Verkehr am Brenner nimmt zu
Seit Jahren schwelt der Streit über deutsche Autos, die österreichische Straßen verstopfen. Das Problem sind aber nicht nur Urlauber. Es geht vor allem um den Güterverkehr, der ebenfalls über die Alpen muss - und auch Pkw blockiert.
Der Schwerlastverkehr auf der Brennerroute nimmt stetig zu. 2018 fuhren knapp 2,5 Millionen Lkw an der Zählstelle in Schönberg vorbei, nach rund 2,25 Millionen im Vorjahr. Damit fuhren im vergangenen Jahr dreimal so viele Lkw über den Brenner wie auf allen Schweizer Alpenrouten zusammen. In diesem Jahr waren es bis Mai bereits über eine Million Lkw, laut dem Land Tirol wieder knapp 1,7 Prozent mehr.
Eine Lösung für das Problem ist zwar gefunden: Die Transportströme sollen von der Straße auf die Schiene weichen. Doch damit das funktioniert, muss die Bahnstrecke massiv ausgebaut werden. Dazu kommt ein neuer, 64 Kilometer langer Tunnel unter dem Brenner - der Brennerbasistunnel.
Deutschland trödelt beim Bau der Nord-Süd-Strecke
Doch das Jahrhundertbauwerk steht im Zentrum des deutsch-österreichischen Streits. Bereits 1999 begann die konkrete Planung. Eröffnet werden soll der Tunnel 2028 - dann soll durch ihn ein Großteil des Güterverkehrs zwischen Nord- und Südeuropa fließen. Güterzüge sollen die vielen Lkw ersetzen und die Brennerautobahn entlasten.
Italien und Österreich bauen schon lange an dem voraussichtlich 9,3 Milliarden Euro teuren Tunnel. Die Zulaufstrecke von Innsbruck durchs untere Inntal ist bereits viergleisig ausgebaut. Doch es fehlt noch ein kleines Gleisstück über die deutsch-österreichische Grenze. Und um dessen Verlauf streiten sich Behörden und Anwohner auf deutscher Seite.
Die Anwohner im bayerischen Inntal protestieren, sie wollen nicht noch mehr Verkehr ertragen müssen - auch nicht in Form ratternder Güter- oder Personenzüge. Auch deshalb ist eine leistungsstarke, durchgehende Schienenverbindung zwischen Süddeutschland und Norditalien nicht in Sicht.
Österreich und Deutschland blockieren sich gegenseitig
Während der Baustart in Deutschland in weiter Ferne liegt, erhöht Österreich mit den Fahrverboten den Druck. "Wir schützen damit unsere Bevölkerung und Gäste vor Ort, während Durchreisende ihren Weg auf der dafür vorgesehenen Route fortsetzen können", sagt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. In- und Ausländer müssten sich daran halten. "Wenn Dörfer vom Ausweichverkehr derart verstopft sind, dass nicht einmal mehr für Einsatzkräfte ein Durchkommen ist, dann ist Handeln gefragt."
Der ADAC hat hingegen die Nöte der Reisenden Im Blick. "Wir sehen die Fahrverbote gerade zur Hauptreisezeit ausgesprochen kritisch. Für Touristen bedeuten die Verbote erhebliche Einschränkungen der Reisefreiheit" heißt es beim Automobilclub.
Dabei ist der Tiroler Abschnitt längst nicht der einzige Engpass auf der Nord-Süd-Strecke. Bei Kiefersfelden in Bayern kontrollieren deutsche Behörden Fahrzeuge auf dem Weg nach Deutschland, um Migranten von der Einreise nach Deutschland abzuhalten. Deshalb gibt es auf österreichischer Seite kilometerlange Staus.
Österreich drosselt Lkw-Verkehr - Scheuer schäumt
Auf der anderen Seite drosselt Österreich den Lastwagenverkehr und fertigt die Lkw nur noch in Blöcken an der Grenze ab. Die Tiroler Landesregierung erlaubt nur einer bestimmten Anzahl pro Stunde die Einreise nach Österreich, um die Autobahnen zu entlasten. Staus von bis zu 30 Kilometern Länge auf deutschen Autobahnen sind die Folge.
Diese sogenannte Blockabfertigung ist in den Augen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) inakzeptabel. Sie störe den deutschen Urlaubsverkehr massiv und verstoße gegen EU-Recht. Scheuer forderte die österreichische Bundesregierung auf, diese Praxis zu beenden.
Landeshauptmann Platter warf Scheuer hingegen vor, damit die Interessen der Lastwagenlobby über das Wohl der Anwohner in Österreich zu stellen. Die Bevölkerung dort leide unter der Umweltbelastung. Die EU-Kommission habe mehrfach bestätigt, dass die Blockabfertigungen rechtmäßig seien. Daher sollten die Deutschen nicht die Beleidigten spielen, weil sie gerade bei der Pkw-Maut eine Niederlage einstecken mussten.
"Fahrverbote keine Lösung"
So vermischen sich zwei verschiedene deutsch-österreichische Verkehrsprobleme auf unheilvolle Weise. Berlin und Wien zoffen sich und versuchen bei den jeweiligen Wählern zu punkten, anstatt gemeinsam Lösungen zu suchen.
"Es geht hier nicht um Österreich gegen Deutschland", sagt Günter Emberger, Verkehrsforscher an der TU Wien. "Es geht um unser aller Gesundheit." Der Experte sieht in Fahrverboten und Blockabfertigung nicht die Lösung des Problems. "Das sind kurzfristig notwendige Maßnahmen, um die regionale Bevölkerung zu schützen", sagt Emberger.
Als schnelle Lösung bringt er eine Maut für jeden gefahrenen Kilometer auf allen Straßen in der Region ins Spiel. "Im Falle der Tiroler Fahrverbote müsste die Fahrt auf der Autobahn für Transitreisende dann günstiger sein als auf der Bundes- und Landstraße" sagt Emberger. So ließe sich die Nutzung der verschiedenen Routen über den Brenner steuern - und Touristen hätten wieder freie Fahrt.
ADAC rechnet mit noch mehr Stau
Dass sie dafür wohl stärker zur Kasse gebeten würden, sei zu verschmerzen. Die Verkehrsprobleme müssten ohnehin viel umfassender angegangen werden. "Wir müssen in Europa einen neuen Zugang zur Mobilität bekommen, der ökologisch vertretbar ist."
Statt Fahrverbote zu verhängen, müsse man Autofahren längerfristig verteuern, damit die Verursacher von Umweltschäden diese bezahlen. "Es geht nicht darum, den Autofahrer zur Melkkuh der Nation zu machen, sondern darum, die Menschen zum Umdenken zu bewegen", sagt Emberger. "Es kann nicht sein, dass sich jede Familie am verlängerten Wochenende ins Auto setzt und 1000 Kilometer irgendwohin und wieder zurück fährt."
In diesem Jahr ist von einem Umdenken wohl noch nichts zu spüren. Der ADAC rechnet an den kommenden Wochenenden entlang der Inntalautobahn A12 sowie der Brennerautobahn A13 mit einem noch einmal höheren Verkehrsaufkommen.
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