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„Die Nation ignoriert diese Krise“ – der wahre Grund für Amerikas Waren-Engpass

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  • „Die Nation ignoriert diese Krise“ – der wahre Grund für Amerikas Waren-Engpass

    Es ist früh am Morgen, als sich Clarise King-Green mit ihrem königsblauen Truck bei Philadelphia auf die Interstate 95 einfädelt. Sie hat einen kurzen Trip vor sich, wenigstens für ihre Verhältnisse. Entfernung laut Navi: 138 Meilen. Fahrzeit: zwei Stunden und 42 Minuten. Die Frau soll einem Baumarkt in der kleinen Stadt Salisbury eine Ladung Haustüren bringen – derzeit ein sehr begehrtes Gut in Amerika.

    „Was sich auf meinem Hänger befindet“, sagt King-Green am Telefon und lacht, „ist Gold wert“. Ihre Stimme kommt über eine Freisprechanlage, im Hintergrund ist das Brummen des Lastwagens zu hören. King-Green steuert eine Zugmaschine des Herstellers International mit 515 PS. „Überall in den USA wollen die Menschen gerade Häuser bauen“, sagt sie, „aber es fehlt an Materialien.“

    Clarise King-Green, 51 Jahre alt, aus Florida, ist ein kleiner Teil der globalen Lieferketten – jenes für viele Menschen unsichtbaren Netzwerks aus Häfen, Schienen und Straßen, über das uns Güter aus aller Welt erreichen. Und das jetzt, nach bald zwei Jahren Pandemie, nicht mehr so gut funktioniert wie früher. Die Folgen spürt man in ganz Amerika. Viele Waren sind knapp. Fernseher, Fleisch und Winterjacken zum Beispiel. Und eben Haustüren. Vier von zehn Bürgern geben in Umfragen an, nicht mehr alles zu bekommen, was sie brauchten.

    Vor den beiden größten Häfen der USA – Los Angeles und Long Beach – liegen fast 100 Containerschiffe auf See. Sie laufen nicht ein, weil am Pier niemand ist, der ihre Fracht entgegennehmen könnte. Denn Amerika fehlen Lastwagenfahrer. Menschen wie King-Green, die die Importe im Land verteilen. Einst wurden Trucker hier als Könige der Highways verehrt, doch heute will kaum noch jemand diesen Beruf ausüben.

    Es gibt mehrere Gründe für den Warenengpass in den USA. Viele Fabriken im In- und Ausland drosselten wegen der Pandemie ihre Produktion. Zugleich werden einige Güter stärker nachgefragt, zum Beispiel Möbel, da Häuser und Wohnungen in Zeiten von Corona oft auch als Büro dienen. Aber der Mangel an Lastwagenfahrern gilt als das größte Problem.

    Laut der American Trucking Association fehlen den USA 80.000 von ihnen. Und bis 2030 könnte sich diese Zahl verdoppeln, denn die Branche erwartet eine große Rentenwelle. Zudem haben die Speditionen Nachwuchssorgen. Die Zahl der Studenten wächst, junge Amerikaner sitzen heute lieber im Hörsaal als in der Kabine eines 40-Tonners. Es handelt sich um ein Drama, das sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit abspielt, aber der US-Wirtschaft großen Schaden zufügt. Die Personalknappheit bremst das Wachstum und treibt die Inflation.

    „Wir geben unseren Trucks Spitznamen“

    „Die Nation ignoriert diese Krise“, sagt Tra Williams, Chef von FleetForce, einer Trucker-Schule in Florida. „Dabei geht es hier um nichts weniger als die Frage, wie das Essen auf unsere Teller kommt.“ Aber was macht den Beruf so unattraktiv? Das spartanische Leben in der Lkw-Kabine, wie man oft hört? „Nein“, meint Williams, „eine neue Zugmaschine bietet so viel Komfort wie ein Hotelzimmer.“ Das Problem sei der Ruf der Branche. Die Vorstellung, Lastwagenfahrer sei etwas für Menschen mit geringer Bildung.

    Was für Amerika eine Bürde ist, begriff Clarise King-Green als Chance. „Ich wollte schon lange Truckerin werden“, sagt sie, „Fahren liegt mir im Blut.“ Die Frau bewarb sich bei einer großen Spedition und wurde sofort eingestellt. Nun beliefert sie Baumärkte und Lebensmittelläden im Osten der USA. Alles zwischen Vermont, Georgia und Kentucky ist das Territorium von King-Green und ihrem „blauen Barnabas“, wie sie ihren Lastwagen nennt. „Wir geben unseren Trucks Spitznamen“, sagt sie. „Barnabas klingt für mich nach einem starken römischen Gladiator, das passt doch.“

    Manches, erzählt King-Green, nerve an ihrem Beruf. Zum Beispiel, wenn sich männliche Fahrer über Funk meldeten und fragten, ob sie nicht lieber in der Küche stehen und Cookies backen wolle. Aber das meiste gefalle ihr. „Ich mag das Gefühl“, sagt King-Green, „eine Maschine mit so viel Kraft zu steuern.“

    Zudem genieße sie es, nicht mehr an einem Schreibtisch zu sitzen wie in der Arztpraxis, in der sie bis vor einem Jahr gearbeitet hat. „Es ist herrlich, die Natur zu sehen, die vor meinem Fenster vorbeizieht“, sagt King-Green. „Am liebsten fahre ich durch die Berge.“ Auf der Interstate 95, erzählt sie, wirke aber alles gerade ein wenig trist. Es seien nur kleine Ortschaften mit verwitterten Häusern und schiefen Telefonmasten zu sehen.

    „Einen Moment bitte“, sagt King-Green plötzlich, „die Zentrale ruft an.“ Sie legt auf und meldet sich kurze Zeit später zurück. Man habe ihr eine neue Route zugewiesen, berichtet sie: Die Haustüren sollten nicht länger nach Salisbury transportiert werden, sondern nach Atlanta im Bundesstaat Georgia. „Super“, freut sich King-Green, „Georgia hat schöne Berge.“

    Der Beruf der Frau ist mittlerweile auch ein Thema in Washington. US-Präsident Joe Biden hat erkannt: Die Lösung der Lieferprobleme beginnt mit den Truckern. Sein neues Infrastrukturpaket erlaubt es erstmals auch Teenagern, die sogenannten „Big Rigs“ durch Amerika zu steuern – eine kleine Revolution. Bisher mussten Lastwagenfahrer, die bundesstaatliche Grenzen überqueren wollten, mindestens 21 Jahre alt sein, in Zukunft genügen 18 Jahre. Zudem ist die Schaffung eines Gremiums geplant, das Frauen den Jobeinstieg erleichtern soll.

    Aber das ist noch nicht alles. Biden sagte kürzlich sogar, er sei bereit, die Nationalgarde zu mobilisieren, um die Lkw-Krise in den Griff zu bekommen. Dieser Teil des US-Militärs wird bei Notfällen im Landesinneren zu Hilfe gerufen. Zum Beispiel verteilten die Truppen im Sommer 2005 Wasser und Nahrung, nachdem der Wirbelsturm Katrina die Stadt New Orleans verwüstet hatte. Nun, so scheint es, könnten die Soldaten der Nationalgarde bald Trucks lenken.
    Viele Unternehmen geben gestiegene Kosten an Verbraucher weiter


    Auch die amerikanischen Speditionen reagieren auf den Fahrermangel. In den vergangenen drei Jahren steigerten sie die Löhne um mehr als 20 Prozent, wie Daten des Arbeitsministeriums zeigen. Ein Trucker verdient nun durchschnittlich 50.000 Dollar im Jahr. Viele Unternehmen locken Bewerber zudem mit einem Einstellungsbonus. Der Arbeitgeber von King-Green, Werner Enterprises aus Nebraska, bietet bei Vertragsunterzeichnung 7000 Dollar an.

    Um all das zu bezahlen, erhöhen die Speditionen die Tarife. Baumärkte, Modeläden und Lebensmittelketten müssen also mehr für den Transport ihrer Waren bezahlen – und geben die Kosten an die Verbraucher weiter. Der Mangel an Truckern treibt daher die Inflation in den USA. Im November stiegen die Preise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,8 Prozent. So hoch war die Rate seit 1982 nicht mehr.

    Clarise King-Green hat nun, nach der Änderung ihrer Route, einen längeren Trip vor sich. Bis Atlanta sind es laut ihrem Navi 705 Meilen. Fahrzeit: Elf Stunden und 33 Minuten. Aber das, meint die Frau, nehme sie gerne auf sich. Denn vor Atlanta gebe es seit Kurzem einen Truck Stop mit Schönheitssalon. „Da werde ich es mir gut gehen lassen“, sagt King-Green. Amerika, so scheint es, stellt sich darauf ein, dass es auf den Highways nun auch Königinnen gibt.
    Geht nicht nur uns so........
    Die DDR ging unter, weil das Volk aufstand. Die BRD geht unter, weil das Volk schläft.

    Wer Olivgrün wählt, wählt Verarmung, Masseneinwanderung und Krieg!

    In der internationalen Politik geht es
    nie um Demokratie oder Menschenrechte.
    Es geht um die Interessen von Staaten.
    Merken sie sich das, egal was man Ihnen im
    Geschichtsunterricht erzählt.
    Egon Bahr

  • #2
    Ach ne, die USA bekommen nicht mehr alles was sie wollen? Tja, wird wohl wieder mal Zeit irgendwo einzumarschieren, eventuell kann ihnen das Militär ja das Zeugs beschaffen...

    Oder man lernt mal dass man halt nicht immer alles und überall sofort haben kann und lernt damit umzugehen und sich eventuell in Zukunft etwas besser selber zu versorgen.

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    • #3
      Das ist auch nur so ein Jubelartikel, der die wirklichen Zustände im Straßengütertransport verschleiert. Für die USA gibt es seit 2000 ein gutes Buch von Michael H. Belzer: Sweatshops on Wheels. Winners and Losers in Trucking Deregulation. Oxford university press. 2000. Wenn man Belzer kugelt, bekommt man noch zahlreiche andere Artikel, unter anderem zu den Zuständen in Australien.
      Wie dem auch sei: Ob man über den Teich sieht oder nur unser EU-Kabotage-Gemurkse. Es geht darum, die Fahrerlöhne zu drücken. Das fällt unseren Qualitätsjournalisten leider nicht auf. Den Jan Bergrath von Eurotransport nehme ich dabei ausdrücklich aus. Alle anderen nicht.

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