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Die Buhmänner der Straße: Lkw-Fahrer und ihre Probleme

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  • Die Buhmänner der Straße: Lkw-Fahrer und ihre Probleme

    Trucker sind nicht mehr die Könige der Straße. Viele fühlen sich nur noch als Buhmänner. Eine Geschichte über geplatzte Träume, eine lila Kabine und den letzten Rest Romantik.

    Blinker nach rechts und runter von der A8. Ausfahrt 73, Autobahn-Raststätte Augsburg-Ost. Der Fahrtenschreiber zeigt an, dass Henry Leupold heute schon neun Stunden und fünf Minuten am Steuer seines Lkw sitzt. Um die Lenkzeit einzuhalten, hätte der Trucker eine Raststätte früher anhalten müssen. Das hat er auch versucht. Aber: „Ich habe dort einfach keinen Parkplatz gefunden.“ Erwischt ihn die Polizei, sind 30 Euro fällig.

    Obwohl es erst kurz nach 17 Uhr ist, sind alle Lkw-Parkplätze belegt. Alle 73. „Wenn du nach vier eine Raststätte ansteuerst, hast du fast keine Chance mehr“, erzählt Leupold. Man sieht: Kennzeichen aus Russland, Rumänien, Polen, Italien, Österreich. An diesem Tag nur wenige aus Deutschland. Kurz vor der Tankstelle hält Leupold hinter einem Sattelschlepper aus Frankreich. Kein offizieller Parkplatz, sondern direkt an der Zufahrt zur Zapfsäule. Aber was soll er machen?

    In Deutschland sind mehr als 2,7 Millionen Lkw zugelassen

    Das nervt. Das und vieles andere. Deutschlands Lkw-Fahrer sind unzufrieden mit ihrem Beruf. Dies wird bleiben von jenem Sommertag an der A8. Sie klagen über zu lange Arbeitstage, geringe Wertschätzung, mangelnden Respekt. Immer sind sie die Buhmänner. Henry Leupold kommt da richtig in Fahrt. Oft müsse er bremsen, weil Autofahrer viel zu knapp vor seinen Lkw ziehen. „Die wissen gar nicht, wie schwer das ist, 40 Tonnen zum Stehen zu bringen“, sagt er. Wenn er hingegen selbst zum Überholen ansetzt, wird er oft angehupt. Von gewagten Brummi-Manövern oder Elefantenrennen erzählt er nichts.

    Solche Szenen spielen sich jeden Tag auf Deutschlands Straßen ab, bestätigt Verkehrspolizist Hansjörg Schuster. Er sagt: „Viele Autofahrer stört die Masse an Lkw.“ Allein in Deutschland sind laut Kraftfahrtbundesamt mehr als 2,7 Millionen Brummis zugelassen. Da sind die ausländischen Fahrzeuge natürlich noch gar nicht dabei.

    Henry Leupold, 49, will sich heute nicht mehr über Autofahrer ärgern. Zu stressig war sein Arbeitstag. Mit Be- und Entladen kommt er auf 13 Stunden Arbeit und 700 Kilometer. Vom Bayerischen Wald bis in den Stuttgarter Raum und zurück. Auf der Raststätte im Augsburger Norden muss er elf Stunden ruhen. Das schreibt das Gesetz vor. Geladen hat er heute Styropor, das er am nächsten Morgen nach Passau bringen soll.

    Lastwagen werden häufig an Autobahnraststätten ausgeraubt

    Angst, ausgeraubt zu werden, hat er nicht. Im Vergleich zu anderen Kollegen blieb er bislang davon verschont. Einmal wurde von seinem Tank Diesel abgezapft, das war’s. Kein Einzelfall. Allein bei der bayerischen Polizei gingen 2013 insgesamt 883 Fälle von Kraftstoffdiebstahl an Lastwagen ein.

    Leupold, ein Mann mit kräftigen, tätowierten Armen, wühlt im Kühlschrank seiner Fahrerkabine. Er kramt eine Packung Würstchen und eine Scheibe Brot hervor. In Raststätten ist ihm das Essen zu teuer. Neun Euro für eine Currywurst mit Pommes, drei Euro für einen Kaffee – alles andere als fernfahrerfreundliche Preise, findet Henry. Gerade weil viele seiner Kollegen nur knapp 1200 Euro netto im Monat verdienen. Leupold gehört mit 2500 Euro zu den Besserverdienern. Er könnte sich das Raststättenessen leisten, verzichtet aber darauf. Aus Solidarität. Wenn er etwas Warmes möchte, schmeißt er lieber seine mobile Herdplatte an.

    Meist isst der gebürtige Sachse allein. Auch heute. „Früher war das anders.“ Da habe man sich gemeinsam zusammengesetzt, gegessen und über alles Mögliche gesprochen. Aus der eingeschworenen Gemeinschaft, so sieht er das, ist eine Ellenbogengesellschaft geworden. „Die Kollegen stehen alle unter Druck. Da hat keiner Zeit, dem anderen zu helfen. Nicht einmal bei einer Panne.“

    Drinnen im Augsburger Rasthaus sitzt Kollege Jürgen auf einem Barhocker und tippt auf einem Spielautomaten herum. Entspannung nennt er das. Der Rheinländer ist ein bulliger Typ mit Dreitagebart, grauen, abrasierten Haaren und einer schmalen Brille. Er trägt Jeans, ein graues Polo-Shirt und Augenringe. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Ein Gespräch mit Jürgen zu beginnen, ist mühsam. Smalltalk mag er nicht. Man erfährt über ihn, dass er keine Frau hat, keine Kinder, und dass er gerne Angeln geht.

    Speditionen überwachen Lkw-Fahrer per GPS

    Viel lieber wettert der 61-Jährige über seinen Beruf. Seit 35 Jahren rauscht er über die Autobahnen Europas: Frankreich, England, Italien – Jürgen behauptet, schon alles gesehen zu haben. „Schon als Kind wollte ich mit dem Lastwagen in die Ferne fahren.“ Mehr Positives fällt ihm zu seinem Job nicht ein. Das erklärt er auf derbe Art: „Heute kannst du nicht mal mehr schiffen gehen, ohne überwacht zu werden.“ Auf seiner Fahrerkarte muss er alles getrennt und unterscheidbar aufzeichnen: Lenk- und Ruhezeiten, Abladen oder Sichern, Arbeitsunterbrechungen. Außerdem überwacht ihn seine Spedition per GPS.

    Klagen wie die von Jürgen hört Verkehrspolizist Schuster häufiger. Alle zwei Monate veranstaltet er in der Raststätte einen Fernfahrerstammtisch, zu dem 20 bis 40 Fahrer kommen. Diskutiert wird über Parkplätze, Straßenschäden, Polizeikontrollen. Den meisten Zündstoff liefert das digitale Kontrollgerät. Obwohl die Regeln genau festgelegt sind. Zweimal pro Woche dürfen die Fahrer maximal zehn Stunden am Steuer sitzen, an den restlichen Tagen neun. Alle 4,5 Stunden müssen sie 45 Minuten Pause machen. Die Ruhezeit pro Tag beträgt elf Stunden. Vergehen können nach 28 Tagen noch geahndet werden. „Die meisten Fahrer finden die Regelung gut. So kann sie ihr Chef nicht zu längeren Fahrten zwingen“, sagt Schuster.

    Jürgen hat die ständigen Kontrollen satt. Die Rechnerei um Lenk- und Ruhezeiten geht ihm auf den Geist. Er ist froh, dass in einem Jahr Schluss damit ist. Dann geht er in Rente. Er sagt: „ Ich würde keinem zu diesem Beruf raten.“ Und dann: „Das ist ein Scheiß-Job.“

    Bei einer Umfrage vor ein paar Jahren, welchen Beruf die Deutschen auf keinen Fall ausüben wollen, belegte der Fernfahrer den dritten Platz. Gleich hinter Politiker und Versicherungsmakler. Wegen des schlechten Rufs mangelt es der Branche an Nachwuchs. Unter allen Berufskraftfahrern im Güterverkehr waren 2013 nur 2,6 Prozent unter 25. Das ergab eine Studie des Bundesamtes für Güterverkehr.

    Schlechter Schlaf, ungesunde Ernährung, dreckige Duschen. Auch Thomas Fuchs könnte viele Gründe nennen, warum man diesen Beruf nicht ausüben sollte. Dennoch hat sich der 20-Jährige für eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer entschlossen. Er hat nach der Schule nichts anderes gefunden.

    Nach der Ausbildung folgt die Kündigung

    In diesen Tagen schließt er seine dreijährige Ausbildung ab. Die Kosten für den Führerschein betragen mehr als 6000 Euro. Getragen hat sie seine Spedition, die dafür Zuschüsse vom Bundesamt für Güterverkehr erhält. Obwohl Fuchs übernommen worden wäre, hat er seinem Chef die Kündigung geschickt. „Ich will nicht mehr länger der Buhmann sein“, sagt er. Kunden und Autofahrer sollen sich in Zukunft ein anderes Opfer suchen, sagt er. Der Mann aus Klosterlechfeld bei Augsburg will sich beruflich neu orientieren. Nicht mehr die ganze Woche weg von zu Hause sein, mehr Zeit mit seiner Freundin verbringen und endlich wieder Fußball spielen. „Mit 20 habe ich noch andere Dinge im Kopf, als die ganze Woche im Lkw zu sitzen“, sagt er.

    Henry Leupold tickt da anders. Er liebt seinen Beruf. Für Henry sind neun Stunden Fahrt kein Stress, sondern Leidenschaft. Am Steuer seines Lastwagens fühlt er sich wohl. Auf der Rückseite seines 40-Tonners wirbt eine Agentur auf einer Plane für Wellness im Bayerischen Wald. Dieses Wohlgefühl lebt Henry in seinem Fahrerhaus, das er sein „Wohnzimmer“ nennt. Eingerichtet hat er es so: Bullenschädel auf dem Armaturenbrett, Cowboyhüte an den Wänden, ein Teppich mit Leopardenmuster. In der Nacht kann Henry seine Kabine lila oder hellblau leuchten lassen. Leupold ist stolz auf seinen Truck. „Ich fühle mich darin wie der King of the Road“, sagt er. Sein Traum ist es, damit irgendwann auf der Route 66 durch Amerika zu fahren.

    Die Realität heißt A8, Rastanlage Augsburg-Ost. Draußen dämmert es. Henry legt sich auf seine Pritsche hinter dem Fahrersitz und schaltet den Laptop ein. „Hubert und Stadler“ läuft. Die Folgen hat ihm seine Frau Annett auf DVD gebrannt, damit ihm in den Pausen nicht langweilig wird. Manchmal ruft er seinen Sohn an, der auch Lkw-Fahrer ist. Mit ihm tauscht er sich über den Arbeitstag aus. Dann legt er sich schlafen.

    Das Rauschen von der Autobahn, die Raststätte, die anderen Trucks, das alles ist jetzt ausgeblendet. A8, Ausfahrt 73, Autobahn-Raststätte Augsburg-Ost. Henry Leupold sagt: „In meinem Lkw schlafe ich wie in Abrahams Schoß.“

    Trucker sind nicht mehr die Könige der Straße. Viele fühlen sich nur noch als Buhmänner. Eine Geschichte über geplatzte Träume, eine lila Kabine und den letzten Rest Romantik.






    Intelligenz ohne Weisheit ist Dummheit

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