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Niedriglohn oder Lohnwucher? Teil 2

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  • Niedriglohn oder Lohnwucher? Teil 2

    Grenzen für Sittenwidrigkeit

    Es hat lange gedauert bis das Bundesarbeitsgericht gefordert war, für das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung einen festen Grenzwert zu bestimmen. Bereits 1997 hat der Bundesgerichtshof im Rahmen einer Strafverurteilung eines Bauunternehmers, der zwei tschechischen Maurern einen Wucherlohn gezahlt hatte, einen Richtwert vorgegeben: Danach ist ein Lohn sittenwidrig, wenn er unterhalb von zwei Dritteln des in der Branche und Region üblicherweise gezahlten Tariflohns liegt (Beschluss v. 22.04.1997, Az.: 1 StR 701/96). An diesem Grenzwert orientierten sich die Arbeitsgerichte, wenn sie entscheiden mussten, ob ein Lohn sittenwidrig ist.

    Diesen Grenzwert des BGH hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil v. 22.04.2009 auf die arbeitsrechtliche Komponente übertragen (Az.: 5 AZR 463/08). Der Entscheidung lag ein besonders schwerwiegender Fall von Lohndumping zugrunde: Eine Portugiesin, die kein Deutsch konnte, war als Hilfskraft in einem Gartenbaubetrieb beschäftigt. Laut dem in Portugiesisch verfassten Arbeitsvertrag arbeitete sie für einen Stundenlohn in Höhe von 3,25 Euro im Monat bis zu 352 Stunden. Sie und ihre Familie bekamen vom Arbeitgeber eine Wohngelegenheit auf dem Betriebsgelände gestellt. Der 5. Senat bestätigte, dass dieser Stundenlohn unter zwei Dritteln des Tariflohns lag. Aus seiner Sicht lag vorliegend zweifelsohne Ausbeutung und damit Lohnwucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB vor, was die gesetzeswidrig hohen Arbeitszeiten verdeutlichten.

    Bezug auf den Tarifvertrag

    Ob ein Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Gehaltszahlung vorliegt, ermittelt sich im Einzelfall anhand objektiver Kriterien. Im ersten Schritt wird geprüft, ob für die jeweilige Tätigkeit des Arbeitnehmers in dem Wirtschaftszweig üblicherweise Tariflohn bezahlt wird. Ist dies der Fall, bestimmt sich die Festlegung des objektiven Wertes der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anhand der Zwei-Drittel-Grenze gemäß dem Tariflohn. Wird in dem Wirtschaftszweig mehrheitlich kein Tariflohn gezahlt, wird das allgemeine Lohnniveau herangezogen. Achtung: Ob ein Gehalt sittenwidrig ist, richtet sich folglich nicht nach dem Abstand zwischen Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz oder der gesetzlichen Pfändungsgrenze. Das Arbeitsgericht Dortmund hat es zum Beispiel im Einzelhandel ebenfalls abgelehnt, bei der Sittenwidrigkeit das niedrigere Lohnniveau im Ausland zu berücksichtigen (Urteil v. 14.05.2008, Az.: 10 Ca 279/08).

    Nicht nur sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsverhältnisse können sittenwidrig sein, sondern auch andere Beschäftigungsformen wie Teilzeit- oder Mini-Jobs. Auch bei solchen Arbeitsverhältnissen müssen die arbeitsrechtlichen Vorgaben beachtet werden. Durch den Wegfall der Arbeitszeitbegrenzung bei den Mini-Jobs kann es beispielsweise zu sittenwidrigen Löhnen kommen, wenn die Arbeitszeiten außergewöhnlich hoch sind, die Vergütung aber gleich bleibt. Der Arbeitgeber kann dies leicht kontrollieren, indem er anhand der Arbeitszeit den Stundenlohn umrechnet und gegebenenfalls einem sittenwidrigen Lohn gegensteuert.

    Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen

    Bei der Zwei-Drittel-Grenze werden Zuschläge wie Weihnachtsgeld, Sonn- und Feiertagsgeld nicht berücksichtigt. Das gilt sowohl für die Bestimmung des Tariflohns als auch in Hinblick auf die Zahlungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zukommen lässt. Im Einzelfall können Korrekturen an der Zwei-Drittel-Grenze möglich sein.

    Versucht sich jedoch der Arbeitgeber damit herauszureden, dass seine Firma schlecht läuft und er deshalb keinen angemessenen Lohn zahlen kann, wird ihn das hier nicht weit bringen. Denn eine geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebs spielt bei der Beurteilung dieser Frage keine Rolle. Es hilft auch nichts, wenn der Arbeitgeber vorbringt, er habe die Zwei-Drittel-Grenze nicht gekannt und sich, weil für sein Unternehmen keine Tarifbindung besteht, dafür berechtigt gehalten, einen entsprechend niedrigen Lohn zu zahlen. Es reicht aus, dass er den Wert seiner Leistung kannte, also im Fall der Portugiesin die Gehaltshöhe und den Wert des Sachbezugs.

    Anspruch auf Gehaltsnachzahlung

    Mittlerweile haben die Arbeitsgerichte die Bestätigung der Zwei-Drittel-Grenze des Bundesarbeitsgerichts dankbar angenommen, etwa das Landesarbeitsgericht München, das über den Fall einer Altenpflegerin entscheiden musste, die in einem Altenpflegeheim bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden zu einem Stundenlohn von 4,12 Euro beschäftigt war. Laut dem ortsüblichen Tariflohn hätte der Stundensatz jedoch rechnerisch etwa 11,50 bis 12,- Euro betragen müssen.

    Liegt Lohnwucher vor, steht dem Arbeitnehmer gemäß § 612 Abs. 2 BGB ein Ausgleichsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zu. Die Höhe des Anspruches richtet sich nicht lediglich danach, welches Gehalt gerade noch den Sitten entspricht. Es wird also nicht der zulässige niedrigste Lohn gewährt, sondern der übliche Lohn, wobei wiederum vergleichbare Tariflöhne herangezogen werden. Dem entsprechend verurteilte die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts München den Arbeitgeber der Altenpflegerin zu einer Gehaltsnachzahlung von insgesamt 25.686,- Euro, was für jeden Monat ihrer Beschäftigung rund 1.229,- Euro ergibt (Urteil v. 03.12.2009, Az.: 4 Sa 602/09).
    Liebe Grüße
    Harry


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