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10 000 Herzen für einen Brummi

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  • 10 000 Herzen für einen Brummi

    Der Arzt Markus Studer kündigte seinen Job, um sich seinen Traum zu erfüllen: Er wurde Fernfahrer
    Damit muss er jetzt leben. Daran ist er selber schuld. Mal titulieren sie ihn als "Dr. Dieselherz", mal als "Dr. Cargo". Unter den Kapitänen der Landstraßen und Autobahnen ist Lkw-Fernfahrer Markus Studer mit seinem Doktortitel eine absolute Ausnahmeerscheinung. Wiewohl sein Kollege Walo, der für die gleiche Schweizer Transportfirma "Transfood" mit dem Lkw quer durch Europa schippert, nichts auf den Herrn Doktor kommen lässt: "Markus ist Spitze. Er hat das so richtig angenommen von uns, das Proletarische. Absolut solidarisch. Echt. Markus ist einer von uns." So jedenfalls zitiert der Schweizer Journalist Markus Maeder jenen Walo in seinem Buch, das er über Markus Studer geschrieben hat. Maeder hat Studer dafür wochenlang auf dem Beifahrersitz über Europas graue Asphaltbahnen begleitet. Titel: "Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Der Spurwechsel des Dr. med. Markus Studer. Ein Bordbuch."


    Damit ist die ganze, nicht gerade alltägliche Geschichte eines ziemlich radikalen beruflichen Umstiegs schon umrissen. Aber was treibt einen Herzchirurgen mit Bilderbuchkarriere nach 25 Jahren aus dem Operationssaal in die Führerkabine eines Trucks, in einen Job, der hinsichtlich Verdienst und Renommee nicht gerade einen Spitzenplatz in der sozialen Rangskala einnimmt?

    Einsatz für Osterhasen

    An einem trüben Winternachmittag an der Raststätte Wonnegau Ost an der A61 fährt der knallrote Actros vor, 460 PS stark und 40 Tonnen schwer, in weißen Buchstaben leuchtet "Markus Studer Internationale Transporte" auf der Kühlerhaube über dem Mercedes-Stern. Schwungvoll steigt der 62-Jährige mit dem kurzgeschnittenen Grauschopf die Stufen unter der Fahrertür hinunter. Seine Berufsuniform besteht aus einer blauen Jeanshose und einem Jeanshemd, über dessen Brusttasche mit weißem Nähgarn "Markus Studer" eingestickt ist.

    Heute ist der Ex-Herzchirurg in Sachen Osterhasen unterwegs. Am Morgen hat er in der Schweiz Kakaomasse in den Tank gefüllt, die am Abend in Aachen sein muss, für einen Produzenten der Schweizer Firma Lindt&Sprüngli. Jetzt aber nimmt er sich erst einmal einen Tee von der Selbstbedienungstheke der Raststätte und erzählt, wie alles anfing, damals, an seinem 45. Geburtstag. "Da habe ich mich entschieden: Diesen Job als Herzchirurg machst du nicht bis 65." Bei aller erworbenen Routine in diesem anspruchsvollen Beruf mit hoher psychischer und physischer Belastung lassen die Kräfte irgendwann nach, dachte er sich. Und überhaupt: "Eine Party sollte man dann verlassen, wenn sie auf dem Höhepunkt angelangt ist. Oder finden Sie das toll, wenn Sie bis morgens um vier ausgeharrt haben und nur noch von Bierleichen umgeben sind?"

    Das mit den Leichen will der Ex-Herzchirurg natürlich nicht wörtlich verstanden wissen, er, der im Laufe seines Medizinerlebens etwa 10 000 Operationen am offenen Herzen durchgestanden hat. Er hat Bypässe gelegt, Geburtsfehler korrigiert, neue Klappen eingesetzt. "Klar, ich könnte natürlich auch heute noch operieren. Aber ich wollte einfach nicht mehr." Es war Ende 2002, als ihn sein Nachfolger am Herzzentrum Hirslanden, Louis Egloff, in sein neues Leben verabschiedete: "Er winkt uns, seinen Patienten und dem Spital Adieu, um einer neuen Zukunft mit hellem Horizont entgegenzufahren."

    Diese Zukunft liegt nun schon wieder fünf Jahre und 500 000 Kilometer hinter Markus Studer. Am 1. Mai 2003 hat er sein neues Leben begonnen, auf das sich der Mediziner beizeiten vorbereitet hat. Schon anno 2000 erwarb er den Lkw-Führerschein Klasse C, dazu die E-Berechtigung für Anhänger, und anschließend nahm ihn Freund Fritz, selbst langjähriger Fernfahrer, unter seine Fittiche, um Studer in die Kniffe und Finten der eingeschworenen Truckergemeinde einzuweihen. Dann ging es auf eigene Faust los, und Studer kam es vor "wie die späte Fortsetzung einer alten Liebesgeschichte". Schon Klein-Markus hatte den Lastwagen, die an seinem elterlichen Haus in Schaffhausen vorbeibrummten, sehnsüchtig nachgeschaut. Später auf dem Gymnasium hatte er sich eigentlich schon auf der Ingenieurschule in Biel gesehen, aber als es soweit war, entschied er, dass er doch lieber mit Menschen zusammen arbeiten wolle, und studierte Medizin. Nicht ahnend, dass auch Autoingenieure im Team arbeiten.

    "Red" nicht, tu es"

    Studer spezialisierte sich auf die Herzchirurgie und gründete schließlich 1987 mit einigen Kollegen das Herzzentrum Hirslanden in Zürich. Doch mit den Jahren wuchs die Unruhe, bis Ehefrau Katharina ein Machtwort sprach: "Red" nicht immer davon, tu es!" Gesagt, getan.

    Als selbständiger "Camionneur", wie die Trucker in der Schweiz heißen, transportiert er Flüssiglebensmittel für die Spedition Transfood - Kakao etwa oder Milch, Apfelsaft oder Orangensaftkonzentrat. "Für einen älteren Knaben wie mich ist das besser, da muss ich nur die Pumpe ansetzen und nicht selber Waren auf- und abladen." Fünf Tage in der Woche kutschiert Studer heute seinen Actros über Europas Landstraßen und Autobahnen, die Wochenenden hat er, sehr zum Wohlgefallen von Frau Katharina, frei. Und alle 20 Tage gibt es von der Spedition das Fuhrgeld, so hat Studer selbst kein Inkassorisiko.

    "Na ja", gibt er zu, "ich habe natürlich von früher etwas zurückgelegt. Allein vom Brummifahren könnte ich nur sehr bescheiden leben." Also ist es die legendäre Fernfahrerromantik, die große Freiheit der Straße, die er suchte? Von der kann im Zeitalter der Tempolimits und Ruhezeitvorschriften, der Zollbürokratie und Mautverordnungen, der Dumping-Konkurrenz aus Osteuropa und allgegenwärtiger Polizeikontrollen doch kaum noch die Rede sein? Einerseits nein, sagt Studer, andererseits aber habe alles seine Sonnen- und Schattenseiten. "Und so lange die sonnigen überwiegen . . ." Das Schlimmste für einen Fernfahrer sei etwas ganz anderes. Nicht von ungefähr hatte Studer noch vor dem Treffen auf der Raststätte angerufen und geraten, einen Stau in Höhe Mannheim zu umfahren. "Ein Fernfahrer im Stau, das ist eine persönliche Niederlage".


    Sueddeutsche
    Liebe Grüße
    Harry


    Sei wie eine Briefmarke, klebe solange an deinem Vorhaben bist du dein Ziel erreicht hast.

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