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Die kalte Nacht von Ballerbeck

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  • Die kalte Nacht von Ballerbeck

    Tagebucheintrag von Donnerstag, 12.12.2013 bis Freitag 13.12.2013. Die Einsatzorte sind durch ähnlich klingende Fantasienamen ersetzt worden, um nicht eventuell Kunden bloßzustellen.

    Es war saukalt und frostig. Ich bin schon die ganze Woche auf Nachtschicht. Ich bin zwar in den letzten 10 Jahren nicht aus der Übung gekommen und habe zwischendurch immer mal wieder nachts gearbeitet. Aber das nur sporadisch, wenn Not am Mann war. Ansonsten habe ich immer tagsüber meine Arbeit gemacht. Eine ganze Woche auf Nachtschicht, das war wirklich schon lange her. Entsprechend habe ich das auch in den Knochen gespürt. Abends, wenn ich mit der Schicht anfangen musste, fühlte ich mich wie gerädert. Mein Organismus hatte bisher noch nicht den richtigen Rhythmus gefunden und dankte es mir durch fortwährende Müdigkeit. Dazu kam noch die Kälte an diesem Dezembertag.

    Wie immer gab es vorab keine Informationen, wo ich heute Nacht hinfahren sollte, also welche Kunden ich hatte. Ich wusste nur, dass ich laut Dienstplan um 22:30 Uhr anfangen musste. Meiner Müdigkeit und der Tatsache, dass ich in den vergangenen Tagen nachts immer viel Leerlauf hatte, schreibe ich es zu, dass ich ungehorsam war und erst um 23:15 Uhr in der Firma ankam. Es hätte sowieso niemanden interessiert, wann ich die Schicht beginne, solange sich kein Kunde beschwert. Es war wie in den letzten Tagen vorher auch. Ich bin viel zu früh gewesen. Ich hatte nur 3 Kunden, die ich in der Nacht anfahren konnte. Die anderen 2 Kunden durfte ich erst nach 6 Uhr anfahren, weil dort ein Nachtabladeverbot war. Damit nicht genug, hatte ich auch noch einen Neukunden aus Ballerbeck drauf.

    Außer der Adresse und der Telefonnummer von dem neuen Kunden hatte ich keine weiteren Infos. Es war wie immer. Man bekam nicht die kleinste Information. Es herrschte das Prinzip vor, Vogel friß oder stirb! Der Neukunde aus Ballerbeck hat ja nicht spontan gesagt: "So, jetzt bestelle ich mal bei euch Ware!" Nein, dass der Kunde heute Ware bekommt, wussten die Verantwortlichen schon lange vorher. Man hat mir noch nicht mal die Chance gegeben, mich vorher zu informieren, wo Ballerbeck eigentlich liegt. Ich wusste nur, dass es irgendwo zwischen Bielefeld und Nijmegen sein musste. Aber wie man dahin kommt, da hatte ich keine Ahnung.

    Ich hatte Zeit und belud mein Fahrzeug deshalb langsam und gemächlich. Ich hatte 32 Rollcontainer auszuliefern. Das Problem war, dass auf den Lkw nur 30 Rollcontainer drauf gingen. Das hob meine Stimmung natürlich nicht gerade. Irgendwie habe ich es geschafft, die Anzahl der Rollcontainer auf 30 zu reduzieren, indem ich alles ein wenig umpackte. Ich war eben Profi, wenn man das nach 18 Jahren Betriebszugehörigkeit so nennen darf.


    Mein erster Kunde war in Hiermund-Nord. Es gab dort eine neue Alarmanlage, die ich nicht kannte. Der Kunde hatte uns eine Erklärung über die Funktionsweise der Entschärfung auf vier DIN A 4-Seiten zukommen lassen, die ich auch vorher gelesen hatte. Aber nach diesen vier Seiten war ich genauso schlau wie vorher. Vorsorglich habe ich einen Kollegen gefragt, wie ich die Alarmanlage händeln soll. Und siehe da, er konnte mir das in 3 Sätzen erklären.
    Später in Hiermund-Nord hatte das auch ganz gut geklappt. Probleme gab es dort nur mit der Schranke. Ich habe sie einfach nicht aufgekriegt. Der Schlüssel passte nicht. Ich habe ungefähr 10 Minuten gefummelt, bis ich endlich auf den Trichter kam, es einfach mal ohne Schlüssel zu probieren. Tatsächlich! Die Schranke ging auch so auf. Früher musste man sie aufschließen, heute nicht mehr.
    Nachdem ich dort fertig war, bin ich in den Nachbarort nach Annastadt gefahren. Das Abladen dort ging ziemlich zügig. Ich musste nur aufpassen, weil sich auf dem Asphalt Reif bildete und es ziemlich glatt wurde.
    Von Annastadt aus fuhr ich dann in die Altstadt nach Günninghausen. Wenn man jemanden bestrafen will, dann schickt man ihn nach Günninghausen. Die Rollcontainer müssen über eine Treppenstufe in den kleinen Raum hinter dem Laden. Die Stufe alleine ist ja noch nicht so schlimm. Aber die Tür nervt ungemein. Der Rollcontainer verhakt sich in der Türklinke, wenn man nicht aufpasst. Und das mit dem Aufpassen klappt auch nicht immer, weil vor der Stufe ein Gitterrost liegt und der Rollcontainer darauf nicht rund läuft. Er macht meist was er will. Habe ich erwähnt, dass der Boden in solchen alten Stadtteilen aus nostalgischen Gründen aus grobem Kopfsteinpflaster besteht? Doch, das macht man, damit man nicht bequem abladen kann und die Rollcontainer in der Nacht so scheppern, dass die ganze Siedlung aus den Betten fällt.
    Egal, auch diesen Kunden habe ich gemeistert. Ich sage mir immer, es gibt schlimmere Kunden. Ich stand also in Günninghausen um kurz nach 3 Uhr und hatte meinen nächsten Kunden in Münzenich um 6 Uhr. In meinem Lkw hatte ich kein Bett und erst recht keine Standheizung. Ich bin deshalb noch weitergefahren bis Senzig, in das Industriegebiet dieses Vorortes von Münzenich und habe die Heizung auf dem Weg dahin volle Pulle aufgedreht. Ich habe mich gefühlt wie ein Brathähnchen, als ich im Industriegebiet ankam. Aber da konnte ich wenigstens den Motor weiterlaufen lassen, ohne jemanden zu stören. Ich hatte zwar kein Bett, baute mir aber aus Gemüsekisten sowas ähnliches, damit ich mich lang machen konnte. Tatsächlich bin ich dann auch mehrmals im Wechsel eingeschlafen und wieder aufgewacht. Durchschlafen ging nicht, weil die Kisten nun mal nicht so bequem waren und weil ein Dieselmotor nicht unbedingt viel Wärme abgibt, wenn er im Stand läuft.
    Gegen 5:45 Uhr habe ich mich dann wie gerädert wieder aufgerichtet und die Kisten zusammengeklappt. Mein Körper musste übersäht sein von Druckstellen in Form der Musterung der Kisten. Ich machte mich bereit weiterzufahren, da überkam mich stille Panik. Ich sah, dass ich vergessen hatte, den Zeitgruppenschalter des Tachos auf Pause zu stellen. Der Tacho ist die ganze Zeit auf der Einstellung "Arbeit" weitergelaufen. Zu spät, um jetzt noch was reißen zu können. Der Drops ist gelutscht, ich hatte einen Arbeitszeitverstoß begangen. Das kommt davon, wenn man keine Standheizung hat und den Motor laufen lassen muss. Hätte ich den Motor ausgemacht, wäre der Tacho automatisch auf Pause gesprungen.
    Ich bin dann weitergefahren nach Münzenich und habe dort erstmal abgeladen. Die Zeit dort reichte für eine gültige Pause und ich dachte dann auch nicht mehr darüber nach. Nachdem ich dort fertig war, fragte ich den Bäcker, der mit mir anlieferte, wie man am besten nach Ballerbeck kommt. Der erklärte mir das dann gottseidank und ich bin losgefahren. Ich musste über Landstraßen dahin. Zum Teil war es neblig und manchmal verdammt eng, wenn mir andere Lkws entgegen kamen. Und da wo Nebel war, lag auch Rauhreif auf der Straße. Es war teilweise höllisch glatt. Ich war hundemüde und fühlte mich so richtig beschi..en, obwohl ich in der Nacht ja etwas die Augen zumachen konnte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich in Ballerbeck war. Ich hatte die Telefonnummer der Kundin und meldete mich bei ihr. Die Kundin lotste mich dann in die Innenstadt von Ballerbeck, wo ich abladen sollte.

    Da stand ich nun am Rande der Fußgängerzone im wabernden Nebel. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, diese roten Klinker als Pflaster zu legen. Der Platz war auf diesen Steinen sauglatt. Ich musste gehörig aufpassen, dass ich nicht auf die Fresse falle und der Rollcontainer auf mich drauf.


    Leider konnte ich nicht näher an die Abladestelle heranfahren. Ich hätte sonst auf der Zufahrt gestanden, was bei diesem Wetter nicht ratsam ist.


    Es handelte sich hier um einen Durchgang zur Fußgängerzone.


    Die Rollcontainer mussten über eine Rampe am Hintereingang in den hinteren Teil des Ladens geschoben werden. Die Rampe ist ziemlich kriminell. Sie ist zwar gepflastert, in dem typischen Rot von Ballerbeck, aber eigentlich noch zu steil. Der Frost war gottseidank nicht bis zur Rampe durchgedrungen und die Rollcontainer waren nicht so schwer. Aber selbst die leichten Rollis machten Probleme beim Hochdrücken. Vor allem der Übergang oben. Da war nämlich ein Blech mit einer kleinen Kante. Der Rolli drohte auch immer, zur Seite wegzudriften.




    Als ich den Parkplatz verließ, drehten tatsächlich die Räder durch, so glatt waren die Steine. Irgendwie habe ich mich durch die Innenstadt durchgewuselt und bin dann in der Kleinstadt Hottul gelandet. Von da aus ging es zur Autobahn.
    Mein Körper fühlte sich an wie gerädert. Ich spürte jeden Knochen einzeln und auch unterwegs auf der Autobahn überkam mich diese bleierne Müdigkeit. Die Heizung verstärkte das alles noch. Ab und zu drehte ich trotzdem noch das Fenster runter und ließ mir den kalten Wind um die Nase wehen. Es ist ein probates Mittel gegen den gefürchteten Sekundenschlaf.

    Als ich in der Firma ankam, waren einige schwer beschäftigt. Mit einem Kran hievten sie einen Container in das Lager.


    Es hat mich aber nicht sonderlich interessiert. Ich war müde und wollte nichts weiter als nach Hause. Den Schlüssel für den Laden der Neukundin in Ballerbeck habe ich abgegeben, aber ansonsten keine Informationen dagelassen. Ich hatte ja auch keine vorher bekommen. In dieser Hinsicht war ich stur. Ich habe nur zwei Kollegen per Mail über den Laden informiert, sonst niemanden.
    Und nun war Wochenende angesagt.
    Ich habe zu Hause geschlafen wie ein Toter! Meine Frau hatte gemerkt, dass es mir dreckig ging und aufgepasst, dass die Enkelkinder keinen Krach verursachen. Als ich gegen 17 Uhr wach wurde und aufstand, war diese bleierne Müdigkeit immer noch in den Knochen. Wer dieses Gefühl nicht kennt, weil er nachts immer brav in seinem Bett liegt anstatt zu arbeiten, der weiß nicht, wie ätzend das ist. Nicht umsonst warnen Ärzte vor den Folgen permanenter Nachtschichten.

  • #2
    AW: Die kalte Nacht von Ballerbeck

    Gerade gesehen, dass ich das bereits im letzten Jahr eingestellt habe. Deshalb für @Alfio zum Nachlesen.

    Viele Grüße

    Ramaanda

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    • #3
      AW: Die kalte Nacht von Ballerbeck

      Geil geschrieben,Ramaanda! Kann ich so bestätigen,habe mitunter auch derartige "Spitzenkunden",wo man 400kg Milch-Rollis über katrastophales Kopfsteinplaster,löchrigen Asphalt oder sogar ober Schotter zerren und schieben muß.Dazu kommt,dass durch die Ruckelei öfter mal die Joghurtbecher aus der Pappe springen und den Weg kennzeichnen.Glücklicherweise fahre ich ja für unsere eigenen Läden,so dass das in der "Familie"bleibt.
      "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,dass er tun kann,was er will,sondern dass er nicht tun muss,was er nicht will."
      Jean Jacques Rousseau

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