19-Jährige fährt gegen Vorurteile und Männer-Sprüche
Jessica Wicht muss sich manchen Spruch anhören, wenn sie mit dem Lkw an die Rampe fährt. Die 19-Jährige lernt in Hamburg-Allermöhe Berufskraftfahrerin. Ihren Job hat sie jetzt schon sicher.
Im Ausbildungszentrum: Jessica Wicht vor ihrem zukünftigen Arbeitsgerät
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Jessica Wicht drückt den silberfarbenen Knopf bis zum Anschlag, und die 480 Pferdestärken des Mercedes Actros fangen an zu arbeiten. Als Nächstes ist die Druckluft für die Bremsen dran, dann noch der Blick in die Außenspiegel, und es geht los. Das Automatikgetriebe schaltet die 16 Gänge rauf und runter. "Am Anfang fand ich es schwierig einzuschätzen, wie schnell ich auf eine Ampel zufahren kann, um rechtzeitig bremsen zu können", sagt die Lkw-Fahrerin. Die richtige Zeiteinteilung beim Fahren des 40-Tonnen-Lkw ist nur eine von vielen Herausforderungen. Kurven um den Kreisverkehr oder gar das Heranfahren an die Rampe sind andere Bewährungsproben. Ganz zu schweigen von den Bemerkungen der Männer – mit denen die 19-Jährige als angehende Berufskraftfahrerin umgehen muss.
Im Berufsalltag fährt die junge Frau aus Schenefeld bei Pinneberg einen Zwölf-Tonner, zusammen mit einem Kollegen beliefert sie Großhändler und Lager im Hamburger Umland. Ist der Lkw auf dem Betriebshof des Kunden abgestellt, geht es an das Abladen. "Dann ruft mir schon mal einer zu: ,Lass mal deine Nummer hier'. Aber das ignoriere ich meistens", sagt Jessica Wicht.
Neues Selbstbewusstsein in der Männerdomäne
Es belastet sie nicht, in einer Männerdomäne zu arbeiten. Im Gegenteil: "Ich bin offener geworden, vielleicht auch etwas vorlauter", sagt sie. Auf der Realschule empfand sie sich als schüchtern. Hier in ihrem Betrieb in Allermöhe und draußen bei den Kunden ist das jetzt anders.
Jessica Wicht macht alles richtig – zumindest, wenn es um den Job geht: Jedes Jahr hören in Deutschland rund 25.000 Lkw-Fahrer aus Altersgründen oder anderen Motiven mit der Arbeit auf, aber nur etwa 15.000 Nachwuchsfahrer steigen in den Beruf ein. Kraftfahrer ist ein Mangelberuf, Tausende Arbeitskräfte fehlen vor allem im Nahverkehr. Seit dem Wegfall der Wehrpflicht gibt es keinen Berufsnachwuchs mehr, der beim Bund die Lkw-Prüfung gemacht hat.
Als private Ausgabe sind die rund 3000 Euro für den Lkw-Führerschein manchem jungen Menschen zu viel Geld. Die Folgen sind zu sehen: "In einigen Niederlassungen stehen Fahrzeuge auf dem Hof, aber wir haben keine Fahrer", sagt Hendrik Jansen, Geschäftsführer der Logistikfirma Dachser.
Jessica Wicht in der Fahrerkabine
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Urlaubsvertretungen oder Aushilfen bei Krankheit seien kaum zu bekommen. Dabei wird der Bedarf noch steigen: Allein bis zum Jahr 2020 wird nach Berechnungen des Bundesverbandes Güterverkehr Logistik das Güteraufkommen in Deutschland um ein Viertel zunehmen.
Deswegen hat sich das Management von Dachser entschieden, selbst Fahrer auszubilden und dafür eine Tochterfirma gegründet. In der Logistikbranche ist das eine Ausnahme: Konzerne wie Schenker, Kühne & Nagel oder Dachser haben allesamt keine oder nur eine kleine eigene Lkw-Flotte und nur wenige angestellte Fahrer. Sie arbeiten mit Subunternehmern zusammen – selbst wenn auf dem Lkw und der Plane ihr Logo steht.
Diese mittelständischen Fuhrunternehmer wiederum verfügen über einige wenige bis zu einem Dutzend Lkw samt Personal, oftmals sind sie viele Jahre lang im Einsatz für ihren Auftraggeber. Doch um die Fahrerausbildung können oder wollen sie sich nicht selbst kümmern. Stattdessen sind Verbände und Berufsorganisationen wie die Straßenverkehrsgenossenschaft (SVG) gefragt – oder eben große Unternehmen wie Dachser.
Ein Video auf YouTube über die Ausbildung bei Dachser brachte Jessica Wicht auf den Gedanken, sich für eine Lehrstelle in Allermöhe zu bewerben. Ihre Eltern, die beide in der Verwaltung und Technik eines Rundfunksenders arbeiten, wollten das kaum glauben: "Das ist nicht dein Ernst", hat meine Mutter gesagt, erinnert sich die Tochter an den Tag. Mittlerweile hat sie es akzeptiert.
Dabei gab es zunächst andere Ideen: Mechatronikerin im Kfz-Gewerbe oder in der Veranstaltungstechnik hätte sie gern gelernt. "Auf 200 Bewerbungen habe ich entweder keine Antwort oder Absagen bekommen", sagt Jessica Wicht. Die Realschule hat sie mit der Durchschnittsnote 2,4 abgeschlossen, daran hat es kaum gelegen. Wohl eher waren es die ausgewählten Berufe, die typischerweise mit Männern besetzt werden.
Das Arbeitsgerät
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Nun sieht Jessica Wichts Alltag so aus: Zeitig frühmorgens fährt sie mit ihrem Opel Astra Caravan die 30 Kilometer von ihrem Wohnort in Niedersachsen zur Arbeit. Punkt 6 Uhr ist Arbeitsbeginn in der Dachser-Niederlassung in Allermöhe. Zuerst sucht sie sich ihren Fahrer, mit dem sie an dem Tag zusammenarbeitet. Dann werden der "Papierkram" erledigt und die Tour zusammengestellt. Danach fährt sie den Lkw an eine der Rampen der riesigen Lagerhalle und schiebt mit den Kollegen Paletten hinein.
Hierher nach Allermöhe kommen Waren aus mehreren Ländern Europas, bis zu 1000 Tonnen Fracht sind es in einer Nacht. Ab dem nächsten Morgen werden sie in der Region verteilt. Dachser betreibt 41 Niederlassungen und schickt jeden Tag rund 6000 Lkw-Fahrer auf die Straßen.
Heute stehen Kunden wie Gebrüder Heinemann, Bauhaus oder Jack Wolfskin auf der Liste: Der Betreiber der Travel-Value-Läden in den Flughäfen, die Baumarkt-Kette und der Verkäufer von Freizeitkleidung bekommen Nachschub. Geografisch reicht ihr Fahrtgebiet von Neumünster im Norden bis Soltau im Süden und von Stade im Westen bis Schwerin im Osten.
Zwölf Tonnen mit 270 PS
Ihr Lkw ist ein Mercedes 1227, Maximalgewicht zwölf Tonnen mit einem 270-PS-Motor. Im ersten Lehrjahr fährt Jessica Wicht neben dem Kollegen auf dem Beifahrersitz mit, in wenigen Wochen wird sie selbst am Steuer sitzen. Ab dem dritten Ausbildungsjahr wird ihr Fuhrparkleiter sie allein auf Tour schicken.
Was ihr gut gefällt, ist die Abwechslung in dem Beruf. Zuletzt ging es zu einer Firma nach Mecklenburg-Vorpommern, die eine große Folie angeliefert bekam. "Das lag so weit in einem Wald versteckt, dass ich dachte, da kommt nichts mehr", sagt Jessica Wicht. Gelegentlich stehen auch Privatadressen auf der Tourliste. "Stückgut-Versand an Privatkunden", heißt es dann auf dem Lieferschein, Waschmaschinen oder Fernseher können die Waren sein. "Einmal mussten wir einen Billardtisch abliefern", sagt sie. Zurück auf dem Hof und mit der Tagesarbeit fertig ist sie zwischen 14 und 15 Uhr.
Vor einigen Wochen hat Jessica Wicht die erste Fahrprüfung abgelegt und bestanden, die letzte Prüfung für den Sattelzug steht noch an, danach darf sie alle Lkw-Typen fahren. Zu lernen gibt es dann trotzdem noch eine Menge: Vier Mal im Jahr geht es zum vierwöchigen Unterricht in die Berufsschule. Dort wird dann schon mal geübt, Schneeketten auf einen Lkw-Reifen aufzuziehen.
In der Fahrschule sind für sie die Stunden auf der Autobahn ein Graus: "Dauernd 80 Stundenkilometer fahren, da wird man ja irre im Kopf", sagt sie. Nach der Lehre möchte sie im Nahverkehr fahren und so wie ihr Freund eine geregelte Arbeitszeit haben: Die beiden haben sich bei ihrem Arbeitgeber kennengelernt, er ist Fahrer in einem der Subunternehmen im Auftrag von Dachser. Die Transportbranche mit ihren rund 500.000 Fahrern in Deutschland muss selbst noch viel tun, damit der Beruf attraktiver wird.
"Lkw-Fahrer haben immer noch das ,Tatort'-Image", sagt Dachser-Manager Jansen. In Fernsehfilmen sind sie meist bei Nacht und in unwirtlichen Gegenden zu sehen. Im Transitverkehr dominieren ausländische Lkw-Kennzeichen. Deutsche Transportunternehmer können in dem Wettbewerb, der über den Stundenlohn ausgetragen wird, kaum mehr mithalten.
Anders ist das im Linienverkehr zwischen deutschen Städten und im Nahbereich: 80 Prozent des Transports werden in Deutschland mit dem Lkw gefahren, der Großteil davon im Nahverkehr. Diese Arbeit bietet eine geregelte Zeit und vergleichsweise viel Abwechslung. Berufskraftfahrer verdienten vergangenes Jahr im Durchschnitt in Deutschland etwa 2400 Euro brutto. Zuschläge und Spesen machen daraus gut 3000 Euro. Berufseinsteiger beginnen mit rund 1800 Euro.
Dass Jessica Wicht in dem Beruf zurechtkommt und dass sie ihre Entscheidung bislang keinen Tag bereut hat, liegt vielleicht auch an einer anderen Erfahrung: Gleich nach der Realschule hat sie ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst verbracht und zwar in der Altenpflege.
Für die damals 16-Jährige war diese Berufsrichtung interessant, selbst wenn die Aussicht auf eine gute Bezahlung fehlte. Nach dem Jahr hat sie noch ein weiteres angehängt und in dem Altenheim gejobbt. Als sie dann aber immer öfter anstatt zu zweit ganz allein ein komplettes Stockwerk betreuen musste, wurde ihr die Arbeit vergrault.
"So etwas kann man vielleicht in einer Kindertagesstätte mal machen", sagt sie zu der Belastung. Aber alten Menschen im Akkordtempo im Bad oder beim Anziehen zu helfen, das fand sie ihnen gegenüber ungerecht.
(Quelle: Welt)
Jessica Wicht muss sich manchen Spruch anhören, wenn sie mit dem Lkw an die Rampe fährt. Die 19-Jährige lernt in Hamburg-Allermöhe Berufskraftfahrerin. Ihren Job hat sie jetzt schon sicher.
Im Ausbildungszentrum: Jessica Wicht vor ihrem zukünftigen Arbeitsgerät
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Jessica Wicht drückt den silberfarbenen Knopf bis zum Anschlag, und die 480 Pferdestärken des Mercedes Actros fangen an zu arbeiten. Als Nächstes ist die Druckluft für die Bremsen dran, dann noch der Blick in die Außenspiegel, und es geht los. Das Automatikgetriebe schaltet die 16 Gänge rauf und runter. "Am Anfang fand ich es schwierig einzuschätzen, wie schnell ich auf eine Ampel zufahren kann, um rechtzeitig bremsen zu können", sagt die Lkw-Fahrerin. Die richtige Zeiteinteilung beim Fahren des 40-Tonnen-Lkw ist nur eine von vielen Herausforderungen. Kurven um den Kreisverkehr oder gar das Heranfahren an die Rampe sind andere Bewährungsproben. Ganz zu schweigen von den Bemerkungen der Männer – mit denen die 19-Jährige als angehende Berufskraftfahrerin umgehen muss.
Im Berufsalltag fährt die junge Frau aus Schenefeld bei Pinneberg einen Zwölf-Tonner, zusammen mit einem Kollegen beliefert sie Großhändler und Lager im Hamburger Umland. Ist der Lkw auf dem Betriebshof des Kunden abgestellt, geht es an das Abladen. "Dann ruft mir schon mal einer zu: ,Lass mal deine Nummer hier'. Aber das ignoriere ich meistens", sagt Jessica Wicht.
Neues Selbstbewusstsein in der Männerdomäne
Es belastet sie nicht, in einer Männerdomäne zu arbeiten. Im Gegenteil: "Ich bin offener geworden, vielleicht auch etwas vorlauter", sagt sie. Auf der Realschule empfand sie sich als schüchtern. Hier in ihrem Betrieb in Allermöhe und draußen bei den Kunden ist das jetzt anders.
Jessica Wicht macht alles richtig – zumindest, wenn es um den Job geht: Jedes Jahr hören in Deutschland rund 25.000 Lkw-Fahrer aus Altersgründen oder anderen Motiven mit der Arbeit auf, aber nur etwa 15.000 Nachwuchsfahrer steigen in den Beruf ein. Kraftfahrer ist ein Mangelberuf, Tausende Arbeitskräfte fehlen vor allem im Nahverkehr. Seit dem Wegfall der Wehrpflicht gibt es keinen Berufsnachwuchs mehr, der beim Bund die Lkw-Prüfung gemacht hat.
Als private Ausgabe sind die rund 3000 Euro für den Lkw-Führerschein manchem jungen Menschen zu viel Geld. Die Folgen sind zu sehen: "In einigen Niederlassungen stehen Fahrzeuge auf dem Hof, aber wir haben keine Fahrer", sagt Hendrik Jansen, Geschäftsführer der Logistikfirma Dachser.
Jessica Wicht in der Fahrerkabine
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Urlaubsvertretungen oder Aushilfen bei Krankheit seien kaum zu bekommen. Dabei wird der Bedarf noch steigen: Allein bis zum Jahr 2020 wird nach Berechnungen des Bundesverbandes Güterverkehr Logistik das Güteraufkommen in Deutschland um ein Viertel zunehmen.
Deswegen hat sich das Management von Dachser entschieden, selbst Fahrer auszubilden und dafür eine Tochterfirma gegründet. In der Logistikbranche ist das eine Ausnahme: Konzerne wie Schenker, Kühne & Nagel oder Dachser haben allesamt keine oder nur eine kleine eigene Lkw-Flotte und nur wenige angestellte Fahrer. Sie arbeiten mit Subunternehmern zusammen – selbst wenn auf dem Lkw und der Plane ihr Logo steht.
Diese mittelständischen Fuhrunternehmer wiederum verfügen über einige wenige bis zu einem Dutzend Lkw samt Personal, oftmals sind sie viele Jahre lang im Einsatz für ihren Auftraggeber. Doch um die Fahrerausbildung können oder wollen sie sich nicht selbst kümmern. Stattdessen sind Verbände und Berufsorganisationen wie die Straßenverkehrsgenossenschaft (SVG) gefragt – oder eben große Unternehmen wie Dachser.
Ein Video auf YouTube über die Ausbildung bei Dachser brachte Jessica Wicht auf den Gedanken, sich für eine Lehrstelle in Allermöhe zu bewerben. Ihre Eltern, die beide in der Verwaltung und Technik eines Rundfunksenders arbeiten, wollten das kaum glauben: "Das ist nicht dein Ernst", hat meine Mutter gesagt, erinnert sich die Tochter an den Tag. Mittlerweile hat sie es akzeptiert.
Dabei gab es zunächst andere Ideen: Mechatronikerin im Kfz-Gewerbe oder in der Veranstaltungstechnik hätte sie gern gelernt. "Auf 200 Bewerbungen habe ich entweder keine Antwort oder Absagen bekommen", sagt Jessica Wicht. Die Realschule hat sie mit der Durchschnittsnote 2,4 abgeschlossen, daran hat es kaum gelegen. Wohl eher waren es die ausgewählten Berufe, die typischerweise mit Männern besetzt werden.
Das Arbeitsgerät
Foto: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Nun sieht Jessica Wichts Alltag so aus: Zeitig frühmorgens fährt sie mit ihrem Opel Astra Caravan die 30 Kilometer von ihrem Wohnort in Niedersachsen zur Arbeit. Punkt 6 Uhr ist Arbeitsbeginn in der Dachser-Niederlassung in Allermöhe. Zuerst sucht sie sich ihren Fahrer, mit dem sie an dem Tag zusammenarbeitet. Dann werden der "Papierkram" erledigt und die Tour zusammengestellt. Danach fährt sie den Lkw an eine der Rampen der riesigen Lagerhalle und schiebt mit den Kollegen Paletten hinein.
Hierher nach Allermöhe kommen Waren aus mehreren Ländern Europas, bis zu 1000 Tonnen Fracht sind es in einer Nacht. Ab dem nächsten Morgen werden sie in der Region verteilt. Dachser betreibt 41 Niederlassungen und schickt jeden Tag rund 6000 Lkw-Fahrer auf die Straßen.
Heute stehen Kunden wie Gebrüder Heinemann, Bauhaus oder Jack Wolfskin auf der Liste: Der Betreiber der Travel-Value-Läden in den Flughäfen, die Baumarkt-Kette und der Verkäufer von Freizeitkleidung bekommen Nachschub. Geografisch reicht ihr Fahrtgebiet von Neumünster im Norden bis Soltau im Süden und von Stade im Westen bis Schwerin im Osten.
Zwölf Tonnen mit 270 PS
Ihr Lkw ist ein Mercedes 1227, Maximalgewicht zwölf Tonnen mit einem 270-PS-Motor. Im ersten Lehrjahr fährt Jessica Wicht neben dem Kollegen auf dem Beifahrersitz mit, in wenigen Wochen wird sie selbst am Steuer sitzen. Ab dem dritten Ausbildungsjahr wird ihr Fuhrparkleiter sie allein auf Tour schicken.
Was ihr gut gefällt, ist die Abwechslung in dem Beruf. Zuletzt ging es zu einer Firma nach Mecklenburg-Vorpommern, die eine große Folie angeliefert bekam. "Das lag so weit in einem Wald versteckt, dass ich dachte, da kommt nichts mehr", sagt Jessica Wicht. Gelegentlich stehen auch Privatadressen auf der Tourliste. "Stückgut-Versand an Privatkunden", heißt es dann auf dem Lieferschein, Waschmaschinen oder Fernseher können die Waren sein. "Einmal mussten wir einen Billardtisch abliefern", sagt sie. Zurück auf dem Hof und mit der Tagesarbeit fertig ist sie zwischen 14 und 15 Uhr.
Vor einigen Wochen hat Jessica Wicht die erste Fahrprüfung abgelegt und bestanden, die letzte Prüfung für den Sattelzug steht noch an, danach darf sie alle Lkw-Typen fahren. Zu lernen gibt es dann trotzdem noch eine Menge: Vier Mal im Jahr geht es zum vierwöchigen Unterricht in die Berufsschule. Dort wird dann schon mal geübt, Schneeketten auf einen Lkw-Reifen aufzuziehen.
In der Fahrschule sind für sie die Stunden auf der Autobahn ein Graus: "Dauernd 80 Stundenkilometer fahren, da wird man ja irre im Kopf", sagt sie. Nach der Lehre möchte sie im Nahverkehr fahren und so wie ihr Freund eine geregelte Arbeitszeit haben: Die beiden haben sich bei ihrem Arbeitgeber kennengelernt, er ist Fahrer in einem der Subunternehmen im Auftrag von Dachser. Die Transportbranche mit ihren rund 500.000 Fahrern in Deutschland muss selbst noch viel tun, damit der Beruf attraktiver wird.
"Lkw-Fahrer haben immer noch das ,Tatort'-Image", sagt Dachser-Manager Jansen. In Fernsehfilmen sind sie meist bei Nacht und in unwirtlichen Gegenden zu sehen. Im Transitverkehr dominieren ausländische Lkw-Kennzeichen. Deutsche Transportunternehmer können in dem Wettbewerb, der über den Stundenlohn ausgetragen wird, kaum mehr mithalten.
Anders ist das im Linienverkehr zwischen deutschen Städten und im Nahbereich: 80 Prozent des Transports werden in Deutschland mit dem Lkw gefahren, der Großteil davon im Nahverkehr. Diese Arbeit bietet eine geregelte Zeit und vergleichsweise viel Abwechslung. Berufskraftfahrer verdienten vergangenes Jahr im Durchschnitt in Deutschland etwa 2400 Euro brutto. Zuschläge und Spesen machen daraus gut 3000 Euro. Berufseinsteiger beginnen mit rund 1800 Euro.
Dass Jessica Wicht in dem Beruf zurechtkommt und dass sie ihre Entscheidung bislang keinen Tag bereut hat, liegt vielleicht auch an einer anderen Erfahrung: Gleich nach der Realschule hat sie ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst verbracht und zwar in der Altenpflege.
Für die damals 16-Jährige war diese Berufsrichtung interessant, selbst wenn die Aussicht auf eine gute Bezahlung fehlte. Nach dem Jahr hat sie noch ein weiteres angehängt und in dem Altenheim gejobbt. Als sie dann aber immer öfter anstatt zu zweit ganz allein ein komplettes Stockwerk betreuen musste, wurde ihr die Arbeit vergrault.
"So etwas kann man vielleicht in einer Kindertagesstätte mal machen", sagt sie zu der Belastung. Aber alten Menschen im Akkordtempo im Bad oder beim Anziehen zu helfen, das fand sie ihnen gegenüber ungerecht.
(Quelle: Welt)
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