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20 Jahre in die Tonne gekloppt

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  • 20 Jahre in die Tonne gekloppt

    Tagebucheintrag vom 2.1.2015

    Ich hatte es geahnt, gleichzeitig aber gehofft, dass der Kelch an mir vorübergeht. Schon als ich auf das Firmengebäude zuging, sah ich, der Chef war anwesend. Das war gleichbedeutend mit Gratulation zu meinem Jubiläum. Am 1. Januar 1995 hatte ich meinen ersten Arbeitstag in dieser Firma. Mein Jubiläum war also gestern und nicht heute. Aber am Neujahrstag arbeiten Filialleiter nicht. Dieser Tag ist als Arbeitstag nur für das gemeine Volk vorgesehen.
    Na gut, habe ich gedacht, lasse ich also die Gratulation heute über mich ergehen. Soll er meinetwegen ein paar markige Sätze sprechen die mir am Arsch vorbeigehen, ein kurzes Shake-Hands veranstalten und das war es dann. Leider kam es anders.

    Ich bin reingegangen zum Disponenten und habe mit ihm die Tour besprochen. Als ich dann gerade meinen Kram nehmen wollte, um mich zum Lkw zu begeben, kam dann genau das was ich mir schon vorher gedacht hatte. Der Disponent sagte zu mir:" Der Herr G. möchte noch mit dir sprechen. Aber du musst keine Angst haben! Es geht nur um dein Jubiläum!"
    Geht´s noch? Ich habe keine Angst! Ich hatte sie noch nie und werde sie auch nicht bekommen. Eine unserer Verkäuferinnen, die eigentlich niemand in der Firma leiden kann und die sich trotzdem für unentbehrlich hält, war auch im Büro des Disponenten. Sie wusste genau, dass ich 20jähriges Jubiläum habe, sagte aber keinen Ton. Es war gut so, dass sie ihr Maul nicht aufgemacht hat. Es hätte sonst Stunk gegeben denn ich lege auf eine Gratulation von ihr keinen Wert. Der Disponent gratulierte mir übrigens auch nicht, weder jetzt noch später. Keine Ahnung, warum er das unterlassen hatte, wo wir doch von den 20 Jahren mindestens 15 Jahre in der Firma zusammen verbracht hatten. Er teilte mir aber noch mit, dass ich erst noch das Fahrzeug beladen kann. Der Chef wollte zu mir runterkommen und mit mir zusammen eine Tasse Kaffee trinken. Er würde Bescheid geben, wenn es soweit ist. Oh Gott, was für ein Theater, habe ich bei mir gedacht und bin raus ins Lager und dann auf den Hof, um meinen Lkw an die Rampe zu setzen.


    Und während ich mein Fahrzeug belud, sind meine Gedanken in Bezug auf die letzten 20 Jahre auf Wanderschaft gegangen. Wir, die man gerne die untere Schicht nennt, sind eigentlich das Herzstück einer jeden Firma. Wir sind es, die mit unserer Arbeit dieses abstrakte Gebilde, welches sich Firma nennt, am Leben erhalten und sogar noch mästen. So eine Firma isst und trinkt nicht, sie braucht keinen Schlaf, keinen Urlaub, kein Lob und keinen Tadel und sie kennt auch keine Freude und keine Trauer. Trotzdem wird sie gefüttert und oftmals wird vergessen, wer ihr das Futter bringt. Man kann es auch pragmatisch umschreiben. Wenn alle leitenden Angestellten von heute auf morgen krank wären, wüsste ich dennoch, was zu tun ist. Es würde sich nichts ändern. Wenn aber von heute auf morgen die untere Schicht krank wäre, dann gäbe es mächtige Probleme. Nun gut, es ist nun mal so wie es ist und es lässt sich nicht ändern. Wahrscheinlich bin ich ein Exot mit meiner Auffassung. Genauso denke ich, es war schon immer so, dass der Verdienst am Ende des Monats sich nicht nach dem Kriterium richtet, was man "verdient" hat, sondern auf welcher Sprosse der Karriereleiter man sich befindet.

    Je höher man auf der Karriereleiter vorankommt, desto ausgeprägter wird auch das Verhalten. Selbst über Jahrzehnte gelebte Verhaltensmuster haben dann keine Gültigkeit mehr. Distanz ist hier sehr wichtig. Am Anfang stand das Butterbrot und die Thermosflasche. Ab einer gewissen Sprosse geht das nicht mehr. Warum nicht, erschließt sich mir nicht. Es ist einfach so! Dann macht man auch keine Frühstücks- oder Mittagspause mehr, dann geht man zu Tisch. Das hört sich besser an, ist exclusiver und grenzt ganz deutlich die unterschiedlichen Schichten in der Firma ab. Zuweilen gibt es von Ehrgeiz zerfressene Mitarbeiter, die niemals auch nur in die Nähe der Sprosse auf der Karriereleiter kommen werden, um auch "zu Tisch" gehen zu können. Aber sie träumen davon und sie tauchen völlig ab im Pool der Glückseligkeit, wenn sie mal dabei sein dürfen.
    Im oberen Bereich der Karriereleiter ist eine Eigenschaft zu Hause, die es ganz unten zwar auch gibt, aber nicht in dieser Vollkommenheit. Man nennt die Menschen Workaholics. Sie sind morgens die ersten im Betrieb und abends die letzten, die gehen. Ein Privatleben scheinen sie nicht zu haben. Sie gehen völlig in ihrer Arbeit auf. Ich bin der Meinung, dass diese Menschen zu bedauern sind, erkennen sie doch nicht, was Freizeit und soziale Zufriedenheit wirklich bedeutet. Die Arbeit bestimmt ihr Leben, selbst in der knapp bemessenen Freizeit. Und auch zu Hause finden sie keine Ruhe. Da wird dann mal eben noch ins Büro gefahren und eine Akte geholt. Normale Menschen lesen ein Buch zur Entspannung, der Karrieremensch eine Akte. Ich frage mich immer wieder, ob dieser Wust an Papier, Statistiken,Prognosen und was weiß ich noch, überhaupt einen Sinn hat, den die leitenden Angestellten da produzieren.

    Am deutlichsten zeigen sich die Widersprüche zwischen den firmeninternen Ebenen, wenn es um Sparzwänge geht. Das Sparen ist in der gehobenen Ebene Thema Nr. 1.


    Die abenteuerlichsten Methoden werden in Form eines Brainstormings besprochen und einiges auch zur Umsetzung beschlossen. Diese Beschlüsse werden dann abends in einem feinen Lokal bei Hummerschwänzen und Kaviar gefeiert. Und je später der Abend wird, desto öfter kreist die Flasche Ramazotti. Sparen ja, aber nicht hier und jetzt und schon gar nicht innerhalb dieses erlauchten Kreises.

    Ich hatte gerade im wahrsten Sinne des Wortes an meinem Lkw die Klappe zugemacht, da musste ich meine Gedankengänge unterbrechen. Der Chef war nun bereit, mit mir einen Kaffee zu trinken und schickte den Disponenten los, mich zu holen.
    Es dauerte dann noch 5 Minuten, bis Herr G. aus seinem Büro runter kam in die Küche. Er hat mir dann auch artig gratuliert, mein Disponent aber nicht, wie anfangs schon erwähnt. Und Herr G. fing dann auch ein lockeres Gespräch an. Eigentlich hat er mir ja nichts getan, da er erst kurz in der Firma war und mit den Querelen der Vergangenheit nichts zu gehabt hat. Nach außen hin honorierte ich, dass er zumindest den Versuch unternimmt, mit allen im Guten auszukommen. Aber ich kann diesen Mann einfach nicht ernst nehmen, weil er mir ständig demonstriert, dass er nicht die geringste Ahnung von Logistik hat und auch nicht gewillt ist, mal gegen die Zentrale aufzumucken. Jeder ist sich eben selbst der nächste.
    Er fragte mich, ob denn nicht eine gewisse Wehmut aufkommt, wenn ich die 20 Jahre zurückdenke. Ich konnte nicht anders, ich musste ihm Volker auf´s Butterbrot schmieren. Volker war ein Kollege von mir, der ebenfalls vor dem 20. Firmenjubiläum gestanden hatte, dann aber weggemobbt wurde. Ich sagte ihm dann auch, dass ich mit Wehmut daran denke, wie man meinen Kollegen, der ebenfalls vor dem 20jährigen stand, aus der Firma gemobbt hatte. Das wäre früher undenkbar gewesen, heute aber anscheinend die Regel. Der Disponent, der ebenfalls einen Kaffee mittrank, hat ziemlich entsetzt geguckt. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet. Der Filialleiter hingegen sagte nur, er könne dazu nichts sagen, weil es vor seiner Zeit gewesen ist.
    Nun, ich habe die Zeit weiter genutzt, mir einigen Frust von der Seele zu reden. Dem Herrn G. wurde das Gespräch zusehens unangenehmer. Er reagierte immer mit der gleichen Antwort darauf, dass alles seine Zeit braucht. Er wusste gar nicht, wovon ich rede. Er ging deshalb auf die private Schiene und fragte mich nach meinen privaten Zielen für 2015. Ich habe ihm irgendeinen Stuß erzählt von wegen Gartenpflege, Spazierengehen und Sport treiben. Ich will ihn ja nicht vollends verärgern, denn im Grunde ist er ja ein ganz Lieber. Und dann hatte ich auch keine Lust mehr, mich weiter mit ihm zu unterhalten. Als mein Kaffee alle war, sagte ich dem Filialleiter, ich muss jetzt rausfahren, weil ich in Kassel erwartet werde. Na ja! Eigentlich wollte er mich noch zum Esen einladen, also was von drüben aus der Pizzeria kommen lassen und dann gemeinsam mit mir in der Küche schmausen. Das alleine zeigt schon, dass er von Logistik nichts versteht. Ich arbeite ja nicht zum Spaß hier und irgendwann muss ich doch auch mal arbeiten. Ich kann nicht so wie er meinen Tag nach Belieben gestalten. Wenn ich jetzt noch zu Mittag esse, verschiebt sich mein Feierabend entsprechend nach hinten.
    Am Ende des "Kaffetrinkens" übergab mir der Filialleiter die obligatorische Glückwunschkarte von der Firmleitung. Nur im Unterschied zu früher ist sie nicht mehr vom Firmenchef unterzeichnet sondern von unserem Personal-Fuzzy in der Zentrale. In dieser Hinsicht hat sich also auch schon was getan. Ich werde die Karte als Relikt aus der Vergangenheit aufbewahren.

    Ich bin dann mit einer Stunde Verspätung in Richtung Kassel gestartet und hatte auch Glück mit dem Verkehr. Obwohl, ich hatte schon schlimmes befürchtet, als der Verkehr in Höhe Zierenberg plötzlich zum Stehen kam und nichts mehr ging. Aber das Ganze dauerte nur ein paar Minuten. Im Radio gaben sie durch, dass Tiere auf der Fahrbahn waren und die Polizei deshalb kurz den Verkehr gestoppt hatte.


    Ich kam heute etwas später auf dem Hof an. Im Büro vom Chef brannte noch Licht. Er ist eben ein Workaholic. Gesehen habe ich ihn aber nicht mehr.

    Viele Grüße

    Ramaanda

  • #2
    AW: 20 Jahre in die Tonne gekloppt

    Saugut geschrieben...Danke dafür...

    <Im Büro vom Chef brannte noch Licht. Er ist eben ein Workaholic. Gesehen habe ich ihn aber nicht mehr. > Mach ich auch immer. Wenn Licht brennt werden die Stunden bezahlt ;-)
    Nicht mehr aktiv

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    • #3
      AW: 20 Jahre in die Tonne gekloppt

      Lach...die arbeitszeit über den stromzähler abrechnen....super idee...;-)))

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      • #4
        AW: 20 Jahre in die Tonne gekloppt

        Bin zwar keine 20 Jahre in der Firma, aber diesen Art von Chef kenne ich sehr gut! Gelernter Buchhalter hat auch als Buchhalter bei uns angefangen. Vor 6 Jahren wurde er dann von Schweden zum Geschäftsführer ernannt!
        Wenn du Fragen hast wie man legal Gelder am Finanzamt vorbeibekommst, wird er dir helfen aber wehe du brauchst eine Antwort zu einer logistischen Sache ......
        Aber nichts desto trotz ist er ein toller Chef der immer ein offenes Ohr für die Fahrer hat. Ich lasse auf ihn nichts kommen!
        Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!

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        • #5
          AW: 20 Jahre in die Tonne gekloppt

          Ich hatte anfangs meiner kariere einen chef....der prototyp eines spediteurs....knallhart und dazu ein stinkstiefel vor dem herrn. Der war immer da. Der stand auf einmal in italien hinter dir und du hast ihn verflucht. Aber der stand auch hinter dir, wenn du in mailand im krankenhaus lagst. Der war immer präsent. Oft unangenehm, aber du warst nie alleine. Im positiven sinne.
          Die zeiten sind leider vorbei.

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          • #6
            AW: 20 Jahre in die Tonne gekloppt

            Die Chefs"vom alten Schlag" waren mir auch immer lieber. Einen hatte ich anfangs auch, sehr cholerisch , jedoch meist Fair. Da hast auch schon mal 50€ zugesteckt bekommen, weil die Woche gut gelaufen ist. Hat alles sein für und wieder.

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